Neueröffnung Jüdisches Museum Schweiz
Rede von Eva Herzog, Ständerätin und Patronatsmitglied
Basel, 25. November 2025
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Nadia Guth Biasini
Sehr geehrte Frau Direktorin, liebe Naomi Lubrich
Sehr geehrte Frau Katrin Grögel
Liebe Christine Wirz
Verehrte Anwesende
Was lange währt, wird endlich gut! Immer wieder hat mir Christine Wirz begeistert von den Fortschritten des Umbaus erzählt – nach dem Glücksfall, überhaupt diesen neuen Ort für das Jüdische Museum der Schweiz gefunden zu haben. Das neue Haus hier an der Vesalgasse bietet mehr Raum und Platz und eröffnet damit auch spannende, neue Möglichkeiten: Neue Möglichkeiten, um Geschichte fassbar, Kultur erlebbar und Zukunft denkbar zu machen.

Bei seiner Eröffnung 1966 war das Jüdische Museum in Basel das erste seiner Art im deutschsprachigen Raum. Seit fast 60 Jahren macht es den vielfältigen Beitrag sichtbar, den das Judentum seit Jahrhunderten leistet – an unser Zusammenleben, an unsere Gesellschaft.
Das Museum verstand sich auch schon immer als Ort der Begegnung, des Dialogs und der Erinnerung. Dinge, die wichtiger sind denn je. Gerade in Zeiten, in denen Rassismus und Antisemitismus in Europa wieder auf dem Vormarsch sind, ist Erinnerung keine Option, sondern Pflicht. Scheinbar Überwundenes ist wieder da, Unsägliches wird wieder gesagt. Laut!
Als Historikerin bin ich mir bewusst, dass Geschichte immer auch einmal Gegenwart war – und dass Geschichte uns alle verpflichtet. Erinnerung ist auch Warnung, ein Akt der Verantwortung – gegenüber der Vergangenheit, aber vor allem gegenüber der Gegenwart und der Zukunft. Erinnerung bedeutet nicht nur Rückblick, sondern auch Voraussicht.
Meine Damen und Herren
Das Judentum ist seit Jahrhunderten ein lebendiger, engagierter und unverzichtbarer Teil der Schweiz. Jüdisches Leben hat unser Land geprägt und prägt es noch immer – kulturell, wirtschaftlich, intellektuell und menschlich.
Zentrale Werte des Judentums sind genau jene, auf denen auch unsere Demokratie gründet: Bildung, Gemeinsinn, Respekt vor Vielfalt, das Streben nach Gerechtigkeit, die ständige Reflexion über Freiheit und Verantwortung.
Es sind universelle Werte – und es sind vor allem zutiefst demokratische Werte, die sich auch in unserer Bundesverfassung spiegeln, in unserem Rechtsstaat und vor allem in unserer politischen Kultur des Ausgleichs und der Solidarität.
Ich bin sicher: Das sind nach wie vor die Werte der Menschen in unserem Land. Aber es kommt auch vermehrt zu Übergriffen und Entgleisungen. Es kommt zu verbalen Entgleisungen, die ich noch vor kurzem für unmöglich gehalten hätte. Hier braucht es eine klare Haltung von uns allen, wir dürfen dies nicht zulassen, nicht zulassen, dass Undenkbares denkbar wird. Es braucht Aufklärung, Veranschaulichung, Dialog – wie es das Jüdische Museum vorlebt.

Wenn wir heute über Demokratie sprechen, sprechen wir über etwas Unvollendetes. Demokratie lebt davon, dass Menschen Verantwortung übernehmen und einander zuhören. Dass sie Unterschiede nicht fürchten, sondern als Bereicherung sehen. Dass sie Verbindendes über Trennendes stellen. Die Fähigkeit, sich selbst zu hinterfragen, sich zu wandeln und weiterzuentwickeln, macht unsere Demokratie aus.
Das ist kein Selbstläufer. Genau wie die Integration und Gleichberechtigung der jüdischen Menschen in der Schweiz alles andere als ein Selbstläufer war. Wir kennen die Meilensteine dieses langen und steinigen demokratischen Weges: Die Bundesverfassung von 1848 benachteiligte Jüdinnen und Juden. Erst 1866 wurde auch Ihnen die Niederlassungsfreiheit zugestanden. Und erst die Revision von 1874 brachte Ihnen die Gleichberechtigung, wobei diese kurz darauf mittels Initiative wieder eingeschränkt wurde. Die vollständige Abschaffung der diskriminierenden Sonderartikel gegen die jüdische Minderheit erfolgte erst 1973.
Immer waren wir im europäischen Vergleich eher spät – und reagierten immer wieder auf internationalen Druck. So kritisierten andere Staaten die Schweiz schon im 19. Jahrhundert: Das Verweigern der Niederlassungsfreiheit – so der Vorwurf – sei ein klarer Verstoss gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung und gegen die eigene Bundesverfassung.

Rechtliche Gleichstellung ist wichtig, aber letztlich nur ein Anfang – gesellschaftliche Akzeptanz und schliesslich Integration brauchen länger. Die rechtliche Gleichstellung muss in gelebte Gleichstellung übersetzt werden.
Die jüdischen Gemeinden begannen damals, sich zu organisieren. Es entstanden Synagogen. Die jüdischen Bürgerinnen und Bürger gründeten Vereine – etwa Kultur- und Sportverbände oder Frauenvereine. Diese Vereine waren Ausdruck einer neuen Selbstverständlichkeit, einer wachsenden Teilhabe – und eines starken Engagements für das Gemeinwesen.
Während jüdische Männer ab 1874 gleichberechtigt wurden, mussten Frauen – jüdische und nichtjüdische – fast ein Jahrhundert länger warten. Erst 1971 erhielten sie das Stimmrecht. Es folgten das neue Eherecht und der Entscheid des Bundesgerichts, wonach die Ehe keine Lebensversicherung mehr sei.
Und jetzt steht bald die Abstimmung darüber an, ob alle Personen unabhängig vom Zivilstand besteuert werden sollen. Es geht um die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen und darum, dass die Heiratsstraffe fällt. Aber Sie finden jetzt vielleicht, ich komme vom Thema ab!
Ich will einfach sagen: Unsere Demokratie ist nie fertig. Sie und unsere Gesellschaft können immer noch gerechter und inklusiver werden. Unsere Demokratie gibt uns die Werkzeuge in die Hand, sie laufend zu verbessern. Das passiert zwar nicht schnell, aber – und das ist die gute Nachricht – verlässlich.
Wer die jüdische Geschichte der Schweiz erzählt, erzählt also gleichzeitig auch die Geschichte unserer Demokratie. Es ist eine Geschichte über die Auseinandersetzung mit Zugehörigkeit und den Umgang mit Minderheiten, eine Geschichte über den langen Weg von der Ausgrenzung bis zur Integration.

Liebe Anwesende
Die präsentierte Ausstellung zeigt eindrücklich, wie vielfältig jüdisches Leben in der Schweiz war und ist – und mir zeigt sie, wieviel ich hier noch lernen kann, und darauf freue ich mich sehr!
Ein jüdisches Sprichwort sagt: «Das Geheimnis der Erlösung ist Erinnerung». Es mahnt uns daran, dass wir nicht erlöst werden, indem wir vergessen oder verdrängen – sondern indem wir uns erinnern und entsprechend handeln. Heute, mit der Erinnerung von gestern und mit dem Blick auf morgen.
Ich wünsche dem Jüdischen Museum viele Besucherinnen und Besucher, viele Begegnungen, viele Schulkassen. Und uns allen viele offene Herzen und Köpfe.
Schalom – und toda raba.
Fotos: Jüdisches Museum Schweiz