Eröffnung des internationalen Literaturfestivals BuchBasel
Grusswort von Ständerätin Eva Herzog
Volkshaus Basel, 14. November 2025
Sehr geehrter Herr Regierungspräsident
Liebe Marion Regenscheit, liebes Team von LiteraturBasel
Liebe Katrin Eckert
Liebe Autorinnen und Autoren
Meine Damen und Herren
Es ist mir eine grosse Freude, Sie auch in diesem Jahr zur Eröffnung der BuchBasel begrüssen zu dürfen. Für mich ist diese Eröffnung jedes Mal ein sehr besonderer, fast schon magischer Moment.
Und wenn ich hier in die traute und vertraute Runde schaue und die vielen literaturinteressierten und -begeisterten Menschen sehe, freue ich mich erst recht. Ich freue mich auf drei wunderbare Tage voller Worte, Gedanken und Geschichten.

«So wie es in Basel ist, so habe ich es mir stets ausgemalt» – das sage nicht ich, sondern Dorothee Elmiger: «Volle Räume, wichtige Fragen, gute Texte, grosse Ernsthaftigkeit – und danach noch lange Rumstehen und Quatschen». Das war für mich das Festival und auch grad die heutige Eröffnung schon immer, ein fester Eintrag in meinem Kalender, der mich glücklich macht.
Und natürlich darf ich Dorothee Elmiger nicht zitieren, ohne ihr auch gleich zur Verleihung des Deutschen Buchpreises zu gratulieren, den sie für ihren Roman «Die Holländerinnen» erhalten hat. Ihr Roman erzählt von Aufbruch und Erkundung, von Mut und Unsicherheit – und davon, wie eng Vertrauen und Misstrauen, Zweifel und Zuversicht miteinander verwoben sind.
Ich habe das Buch atemlos gelesen und wundere mich nicht, dass es zusammen mit den Büchern von Nelio Biedermann, Meral Kureyshi, Jonas Lüscher und Melara Mvogdobo für den Schweizer Buchpreis nominiert ist, den wir von LiteraturBasel am Sonntag im Theater Basel zusammen mit dem Schweizer Buchhandels- und Verlagsverband verleihen.

«-trauen». Einige unter Ihnen trauen wahrscheinlich ihren Ohren nicht. Ja, meine Damen und Herren, so etwas Kurzes und Radikales zum diesjährigen Motto des Festivals zu erheben, muss man sich zuerst einmal getrauen! Zwar nicht ein-, aber doch nur zweisilbig. Nur einen Wortteil.
Und doch – oder vielleicht gerade deshalb: «-trauen» hat mich irgendwie sofort gepackt. Vielleicht weil ich als Ständerätin eines Kantons mit halber Standesstimme sensibel bin für halbes? Oder ist es dieser Bindestrich, den ihr zwar nicht hören könnte, der mich aber an meinen Kanton Basel-Stadt erinnert? Oder weil ich mich mit der Individualbesteuerung dafür stark mache, dass Trauen oder Nicht-trauen keinen Einfluss mehr auf die Steuerrechnung hat? Oder weil ich mich dafür engagiere, dass sich Frauen mehr trauen – und sich vor allem mehr zutrauen?
Nicht einmal ein ganzes Wort und doch so viele Bedeutungen, Möglichkeiten und Schattierungen. Gerade weil es für sich kein Wort ist, ist es anschlussfähig und ausbaufähig, ja geradezu kontaktfreudig. Vertrauen, Misstrauen, sich anvertrauen, sich etwas zutrauen – es sind aktuelle Wörter, die mitten in unsere Zeit hineinleuchten.
Wir erleben eine Welt, die sich rasend schnell verändert. Kriege, Klimakrise, künstliche Intelligenz, das Wiedererstarken von autoritären Kräften. Das Vertrauen in Institutionen, Politik und Medien schwindet. Immer mehr trauen sich, Unsagbares und Unsägliches wieder laut zu sagen. Und wir getrauen uns manchmal kaum noch, die Nachrichten zu lesen.
Im Weissen Haus sitzt einer, dem nicht zu trauen, aber alles zuzutrauen ist. Und wenn er den Ostflügel des Weissen Hauses für kitschige Machtentfaltung einreissen lässt, dann hat das etwas Symbolisches: Nicht nur Mauern werden von Narzissmus und Populismus eingerissen, sondern auch Institutionen. Demokratische Institutionen werden zertrümmert und mit ihnen das Vertrauen in Rechtsstaat und Demokratie.
In der Demokratie geht es darum, den Menschen, den Bürgerinnen und Bürgern, etwas zuzutrauen. Das verbindet Demokratie und Literatur. Denn Literatur ist ebenfalls ein Akt des Zutrauens: Autorinnen und Autoren trauen ihren Leserinnen und Lesern etwas zu – sie trauen uns zu, offen zu sein, sich einzulassen und zu verstehen. Und wir, das Publikum, trauen den Autorinnen und Autoren zu, dass sie uns etwas zeigen, das wir noch nicht gesehen haben, dass sie uns irritieren, bereichern, vielleicht auch beunruhigen. Manchmal ist zwischen Zutrauen und Zumuten nur eine ganz dünne Linie.
In einer Welt, in der Worte oft missbraucht werden, bleibt die Literatur ein Ort, an dem man der Sprache noch etwas zutraut.

Liebe Freundinnen und Freunde der Literatur
Ich will Ihnen etwas anvertrauen: Ich freue mich und bin unheimlich stolz, dass die BuchBasel in diesem Jahr wieder so viele so unterschiedliche Stimmen zusammenführt – laute, leise, neue, vertraute. Und dass sie sich traut, Grenzen zu überschreiten und zu verschieben, auch unangenehme Debatten zu suchen, zu führen und auszuhalten. Dass sich die BuchBasel traut, ein Festival nicht nur für das Publikum, sondern mit dem Publikum zu sein.
Dieses Festival steht für Vielfalt. Genau wie Basel. Wir sind stolz auf unser Stadtbild. Und mindestens so vielfältig und facettenreich wie unser Stadtbild ist auch das Programm unseres Festivals. Es gibt klassische Lesungen, Gespräche, experimentelle Literaturpräsentationen und Performances, Konzerte, digitale Literatur, partizipative Veranstaltungen, Kurse und Kinderveranstaltungen.
Besonders schön ist, dass wir dieses Festival heute mit Liv Strömquist eröffnen können. Sie ist eine Künstlerin, die sich traut, mit Humor, Witz und Tiefgang gesellschaftliche Tabus anzusprechen. Ihre Graphic Novels sind nicht nur gezeichnet, sondern eingeschnitten in den Zeitgeist.
Und zum Abschluss am Sonntag freue ich mich dann auf Colson Whitehead. Er ist ein Meister des Erzählens, der uns mit «Harlem Shuffle» daran erinnert, wie eng Moral, Klasse und Identität miteinander verwoben sind. Zwei Künstler, die uns zeigen: Vertrauen und Kritik, Humor und Ernst – das gehört zusammen.
Hinter einem dermassen vielfältigen, anregenden und inspirierenden Programm stehen immer ganz viele Leute, mit ganz viel Herzblut und Einsatz. Ich möchte an dieser Stelle dem gesamten FestivalTeam von Herzen danken – für den Mut, Jahr für Jahr neue Perspektiven zu eröffnen, für die Lust am Risiko, für die Liebe zur Vielfalt. Und ich verspreche Ihnen, dass wir als Verein LiteraturBasel diese Haltung weitertragen werden: Vielfalt, Relevanz, Innovation und Mut. Oder anders gesagt: Wir trauen uns was.
Und trauen Sie sich auch! Wenn Sie in den kommenden drei Tagen durch die Säle gehen, zuhören, lesen, diskutieren, lachen, vielleicht auch streiten – lassen Sie sich ein auf Unbekanntes und Ungewisses. Vertrauen Sie uns.
In diesem Sinn wünsche ich uns allen ein Festival voller Entdeckungen, voller Begegnungen, voller Geschichten, die uns berühren – und vielleicht ein kleines bisschen mehr Vertrauen in die Welt, in die Sprache, in uns selbst.
Ich danke Ihnen.