Wohnen fürs Wohnen: Genossenschaften als Labor des Zusammenlebens
Grusswort von Eva Herzog, Ständerätin und Präsidentin Wohnbaugenossenschaften Schweiz, anlässlich der Vernissage
Basel, 28. November 2025
Sehr geehrter Herr Ruby
Sehr geehrte Frau Lagenest
Sehr geehrte Frau Schmitz
Lieber René Brigger
Liebe Monika Willin
Geschätzte Anwesende
Was 1926 als «Bund der Basler Wohngenossenschaften» begann, ist heute ein Verband mit bald 220 gemeinnützigen Wohnbauträgern mit über 17'000 Wohnungen. Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz feiert 100 Jahre erfolgreichen gemeinnützigen Wohnungsbau.
Und so freut es mich ganz besonders, heute hier zu sein, als Präsidentin des nationalen Dachverbandes der Wohnbaugenossenschaften – es ist ein Freudentag!
Ich danke dem Schweizerischen Architekturmuseum, das diese spannende Ausstellung zusammen mit dem Regionalverband gestaltet hat.
Denn: Der gemeinnützige Wohnungsbau ist eine so kluge Sache, er verdient mehr Sichtbarkeit! Und wenn ich sage, er ist die Antwort auf die gegenwärtigen Wohnprobleme, dann sage ich das nicht einfach, weil ich Präsidentin bin des Dachverbandes bin – es ist ganz einfach so!
Ich bin nun etwa seit fünf Jahren Präsidentin des Dachverbandes, Präsidentin von Wohnbaugenossenschaften Schweiz. In dieser Zeit hat das Thema Wohnen an Brisanz stetig zugenommen. Für viele Menschen steht es zuoberst auf dem Sorgenbarometer, für viele macht es den grössten und einen zu grossen Posten aus im Haushaltsbudget. Eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist in den Städten zur Geduldsprobe geworden; und inzwischen ist die Not in Tourismusregionen in ländlichen Gebieten nicht weniger gross.
Gemeinnützige Wohnbauträger könnten Abhilfe schaffen: Sie bieten Mietpreise, die 20 bis 40 Prozent unter der Marktmiete liegen, verbrauchen deutlich weniger Fläche pro Person, bieten innovative Wohnformen für neue gesellschaftliche Bedürfnisse vom Einpersonenhaushalt bis zum Clusterwohnen, wie man heute WGs nennt, sie ermöglichen im Alter den Wechsel von zu grossen in kleinere Wohnungen, bauen ökologisch und haben mit ihrer Nachhaltigkeit und dem Verzicht auf Gewinnorientierung einen preisdämpfenden Effekt auf Boden- und Immobilienpreise.
Warum dümpelt dann der Anteil gemeinnütziger Wohnungen seit Jahren um die vier bis fünf Prozent – mit eher sinkender als steigender Tendenz?
Weil eine Mehrheit der Entscheidungsträger denkt, der Begriff Wohnungsmarkt impliziere, dass der Markt alles richten wird. Das tut er nicht und hat er schon früher nicht. Das zeigt die Geschichte der Wohnbaugenossenschaften und das zeigt diese Ausstellung.
Die erste Gründungswelle geht auf die Wohnungsnot im Lauf der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts zurück, die zweite erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg.
Wir sprechen heute wieder von Wohnungsnot, aber die Hintergründe sind andere. Unser Wohnproblem ist vor allem auch ein Wohlstandsphänomen. Wir können uns mehr Fläche leisten, also verbrauchen wir mehr Fläche. Die Wirtschaft floriert, während die Geburtenrate sinkt und unsere Gesellschaft immer älter wird – folglich haben wir eine Nettozuwanderung, die unsere Wirtschaft absorbiert, braucht. In der Folge suchen mehr Menschen eine Wohnung, diese werden knapp, die Preise steigen.
Das neue Raumplanungsgesetz, das statt Bebauung der grünen Wiese Verdichtung nach innen fordert, die aber auf grossen Widerstand stösst, produziert nicht genügend Wohnungen für den wachsenden Bedarf. Zusammen mit dem gefühlten oder tatsächlichen «Dichtestress» auf Strasse und Schiene für Arbeit und Freizeit wird dadurch eine negative Grundstimmung erzeugt, welche die SVP mit ihrer Initiative zur 10-Millionen Schweiz fördert und damit die EU-Verträge gefährdet – und mit ihnen unseren Wohlstand. Für Milliardäre wie Magdalena Martullo-Blocher oder Alfred Gantner spielt das keine Rolle. Für uns Normalsterbliche schon. Deshalb müssen wir die Probleme der Menschen ernst nehmen und Abhilfe schaffen.
Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Wenn «der Markt» das Problem nicht regelt, müssen wir etwas tun.
Eine Lieblingsfrage auf Podien ist ja oft: Wenn Sie einen Wunsch frei oder einen Zauberstab hätten, was würden Sie sich wünschen?
Hier weiss ich es: Einen Anteil von 30 oder noch besser 40 Prozent an preisgünstigem oder gemeinnützigem Wohnungsbau. Dann würden alle Menschen eine für sie bezahlbare Wohnung finden, die Bodenpreise würden generell sinken, der Boden verlöre an Attraktivität als Spekulationsobjekt. Denn das ist der zweite Grund für die hohen Mietpreise: Finanzkrisen, starker Franken, Negativzinsen und die aktuell zunehmend unberechenbare geopolitische Lage führen seit Jahren zu dieser Flucht in den Boden mit entsprechend steigenden Preisen eines knappen Gutes.
Und wenn ich keinen Zauberstab habe, dann sind es eigentlich fünf einfache Massnahmen:
- Zuerst braucht es Land. Städte können selber im Wohnungsbau tätig werden oder Land im Baurecht an Genossenschaften oder andere gemeinnützige Wohnbauträger abgeben.
- Wenn Gemeinden nicht ausreichend eigenes Land haben, dann kann ihnen ein Vorkaufsrecht helfen, Land oder auch Immobilien zu erwerben.
- Einen Wohnraumfonds für Gemeinden äufnen, Geld für den Erwerb von Land und Immobilien überhaupt bereitstellen.
- Sehr effektiv sind raumplanerische Massnahmen. Bei allen Neueinzonungen, wo dies noch möglich ist, oder Umzonungen sollte mindestens ein Drittel für preisgünstiges Wohnen vorgesehen werden. Oder es können ganze Zonen für preisgünstigen Wohnraum festgelegt werden. Der Markt würde sich danach richten, auch private Investoren, die Regeln müssen einfach klar sein.
- Und schliesslich der Ausbau der Wohnraumförderung. Die Nachfrage nach Darlehen aus dem so genannten Fonds de Roulement (FdR) für gemeinnützige Wohnbauträger und nach den günstigen Finanzierungen der Emissionszentrale für den gemeinnützigen Wohnungsbau (EGW) ist derzeit so hoch wie noch nie. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Aufstockung des FdR ist das absolute Minimum und wird den Gesamtprozentsatz an gemeinnützigen Wohnungen in der Schweiz nicht spürbar erhöhen, aber immerhin. Die neue Botschaft des Bundesrates für die EGW-Bürgschaften erwarten wir für Dezember. Wir lobbyieren seit Monaten dafür, dass der Rahmenkredit für die nächsten vier Jahre aufgestockt wird – sonst werden Gesuche abgelehnt werden müssen. Man sollte denken, dass es sich der Bundesrat angesichts von runden Tischen zur Wohnungsnot nicht leisten kann, die bewährten Instrumente statt auszubauen, noch zu reduzieren.
Genossenschaften als Labor des Zusammenlebens, lautet der Untertitel der Ausstellung. Ich sage: Es ist Zeit, dass das genossenschaftliche Wohnen vom Labor zum Mainstream wird!