Schlussrede als Ständeratspräsidentin


Wintersession 2024, Montag, 2. Dezember 2024

Liebe Kolleginnen und Kollegen

Schnell ist das Jahr vergangen. Es ist als ob es gestern gewesen wäre, dass ich auf den «Bock» gewechselt habe und anschliessend beim Apero im Gang mit dem «Beizechor» getanzt habe «im rote Chleid».... Ich bin mal gespannt, was wir heute noch erleben werden!

Alle fragen mich jetzt, was der Höhepunkt war in diesem Jahr. Da gibt es nicht nur einen.

Ein erster war sicher der 8. März, der Tag der Frau, an dem ich die Tradition wieder aufgenommen habe, diesen im Bundeshaus mit Frauen aus allen Teilen der Schweiz und aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Zusammenhängen zu feiern. Das war ein wunderbarer, kraftvoller Tag, der auch im nächsten Jahr begangen werden soll, auf Einladung der frisch gewählten Nationalratspräsidentin Maja Riniker – der ich an dieser Stelle herzlich gratuliere.

An diesem Tag hatten auch die drei Eidgenossen, die uns in der Eingangshalle empfangen, einen weiblichen Touch, das hat mir sehr gut gefallen, ist es doch eigentlich nicht nachvollziehbar, wie drei Männer allein die heutige Schweiz symbolisieren sollen. Dies umso mehr als wir wissen, dass sie erst im 19. Jahrhundert dazu auserkoren wurden, die Entstehungsgeschichte der Schweiz darzustellen, um den Zusammenhalt im noch jungen Bundesstaat mit einem Gründungsmythos zu stärken.
Das hat damals gut gepasst, zeigt uns aber auch, dass jede Zeit ihre eigene Symbolik haben darf und diese drei Statuen vielleicht weniger in Stein gemeisselt sein müssen als man denken könnte, wenn man sie anschaut in ihrer ganzen Monumentalität... Aber da spricht jetzt die Historikerin.

In meiner Antrittsrede vor einem Jahr hatte ich Ihnen angekündigt, dass ich neben Gleichstellungsfragen auch dem urbanen Charakter der Schweiz zu mehr Sichtbarkeit verhelfen möchte. Nun, wir haben eine parlamentarische Gruppe Städte gegründet, welche den Städteverband in seinem Wirken ergänzt und Sie durften ein paarmal in meine urbane Herkunftsregion reisen… Aber ich habe das zugegebenermassen hochgesteckte Ziel noch nicht erreicht, dass der Begriff «urban», der gemäss Kategorien des Bundesamtes für Statistik immerhin für die Lebensrealität von drei Vierteln unserer Bevölkerung steht, ebenso viele positive Emotionen auslöst wie «Bauern» oder «Landwirtschaft»… Aber was nicht ist, kann ja noch werden!

Liebe Kolleginnen und Kollegen

Ein Präsidialjahr, auch der Ständeratspräsidentin, ist heutzutage stark von Aussenpolitik geprägt. Die Vernetzung unter den Parlamenten hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Ich habe sie als sinnvolles Netzwerken erlebt, als Werben für das gegenseitige Verständnis der jeweiligen Position eines Landes.

Die europäischen Treffen, an denen die Mitglieder der EU wie auch der EFTA teilnehmen, also auch die Schweiz, fördern ein tiefes Verständnis dafür, was Europa heute ausmacht.
In der Europäischen Union mit ihren 27 Mitgliedstaaten und ihrer starken Ausdehnung nach Osten sind die Stimmen der kleinen baltischen Staaten seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine viel wahrnehmbarer geworden. Sie warnen eindringlich davor, die Unterstützung für die Ukraine zu reduzieren und darin nachzulassen, sich Russland mit vereinten Kräften entgegenzustellen. Unterstützt wird das Baltikum dabei von den nordischen Staaten, die ihre alte Neutralitätspolitik den gegenwärtigen Erfordernissen angepasst haben.

Dies regt an zum Nachdenken über die schweizerische Neutralität und ihre Auslegung. Auch diese hat sich immer mit der Zeit geändert und sie tut es jetzt wieder. Wir werden darüber noch ausführlich diskutieren.

Denn die geopolitische Lage hat sich verändert. Die Welt ist daran, sich neu zu «sortieren», wenn ich so sagen darf. Wir leben in einer Zeit, in der vermeintliche Gewissheiten wie Kartenhäuser in sich zusammenfallen und offen ist, welche neuen Gebilde und Allianzen entstehen werden.

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wird nun in ganz Europa verstärkt in die Armee investiert wird. Es heisst, die Friedensdividende müsse nun wieder der Armee zufliessen – zulasten anderer Bereiche oder höherer Verschuldung. Auch das Armeebudget der Schweiz soll aufgestockt werden, das Thema wird die heute beginnende Session dominieren.

Dass die Schweiz als kleines Land mitten in Europa ihren Beitrag leistet zur gemeinsamen Verteidigung und sich in einem Ernstfall nicht einfach auf die Nachbarländer verlässt, erscheint mir fair.

Dass eine massvolle Erhöhung der Armeeausgaben bei uns aufgrund der guten finanziellen Situation nicht zulasten der Sozialwerke, noch der Investitionen in den Unterhalt unserer beneidenswert guten Infrastruktur, noch der so dringend nötigen Massnahmen zur Erreichung der Klimaziele und auch nicht zulasten des globalen Südens gehen muss – ist ein grosser Vorteil. Kaum ein anderes europäisches Land ist in einer gleich guten finanziellen Ausgangslage, um den veränderten Herausforderungen nachzukommen, ohne den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Inland auf Spiel zu setzen oder unsere internationalen Verpflichtungen zu vernachlässigen.

Das ist Chance und Privileg, zumal wir in einer Zeit leben, in der Demokratien auf dem Rückzug sind und offenbar ernsthaft die Frage gestellt werden kann, ob Demokratien, in einem strukturellen Nachteil gegenüber Autokratien sind, weil sie «häufiger das Führungspersonal wechseln», wie der deutsche Politikwissenschaftler Herfried Münkler kürzlich in der NZZ in einem Beitrag schrieb. Wie bitte? Sich lieber einem starken Mann mit klaren und vereinfachten Botschaften ausliefern als das Gleichgewicht der Kräfte und die demokratische Mitsprache pflegen? Ob solcher Gedanken friert es mich.

Unser Mehrparteiensystem, unsere manchmal langen Prozesse mögen die Geduld von vielen immer wieder strapazieren. Aber sie verhindern eine Polarisierung wie wir sie in den USA oder anderen europäischen Ländern derzeit beobachten. Und wenn wir im Bundeshaus mal übermarchen oder nicht zum Punkt kommen, dann sagt uns die Bevölkerung, rechtzeitig, wo’s lang geht. Es gibt kein besseres System als die direkte Demokratie, ihren Wert hochzuhalten muss unser alle Bestreben sein.


Und das erlebe ich in diesem Saal, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wir haben eine Redekultur, die wir nicht genug wertschätzen können. Bei allen Differenzen wahren wir immer Anstand und Respekt, hören einander zu und sind auch bereit, unsere Position zu revidieren. Es war mir eine Ehre und Freude, unsere Sitzungen zu leiten und meinen Beitrag zu leisten zu einer konstruktiven Atmosphäre und fairen politischen Debatte.

Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, das Sie mir als Ihre Sitzungsleiterin gegeben haben und wünsche meinem Nachfolger jetzt schon alles Gute und viel Freude für sein Präsidialjahr.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


….

Nun müssen wir aber noch einen Nachfolger wählen! Vorgeschlagen als nächster Präsident des Ständerates ist Andrea Caroni aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden.