Rede als Ehrengast am Gryffemähli 2024, 20. Januar 2024

 

Hochgeachtete Herr Vorsitzende Meischter

Hochgeachteti Herre Meischter und Alt-Meischter

Sehr verehrti Herre Schtatthalter und Alt-Schtatthalter

Verehrti Herre Vorgsetzti und Alt-Vorgsetzti

Sehr vereehrti Dame und Herre Mit-Gäscht

Liebi Gsellschaftsbrieder vo de Drei Ehregsellschafte vom Glaibasel

 

Ganz herzlichen Dank für die Einladung zum Vogel Gryff. Auch dafür, dass ich wiederum auf dem Floss mitfahren durfte. Was für ein wunderschöner Tag, es hat mich berührt, wieviele Menschen die Strassen gesäumt haben, Kinder und Erwachsene.

Bei meinem ersten Vogel Gryff hat mir der Wilde Maa einen Apfel geschenkt. Das hat mich sehr gefreut, aber auf meine Familienplanung hat es keinen Einfluss gehabt....

Ich freue mich sehr, hier zu sein, gerade auch als Frau - ja die 3E und die Frauen. Die Anrede hier ist immer noch rein männlich, keine grossen I’s oder Sternchen und Doppelpunkte. Aber ich habe gehört, dass nun zwei Frauen bei den 3 E Anträge um Aufnahme gestellt haben

Das will gut geprüft sein, das machen wir in Bern auch immer so: Kommission, Gutachten, Hearings, lange Beratung, vielleicht eine Vernehmlassung, Erstrat… dann dasslebe im Zweitrat, Differenzbereinigung und wenn sich das Problem dann immer noch stellt – ein Entscheid…

Aber Sie haben ja noch einen anderen Pfeil im Köcher: Die Ehrengesellschaften haben eine beschränkte Mitgliederzahl. Sie müssen also alle bloss gesund und munter bleiben, damit Sie noch möglichst lange unter sich bleiben…

Munter wie heute an diesem langen Tag mit viel Speis und Trank – wie gesund das Gryffemähli ist, kann der andere Ehrengast besser beurteilen als ich.

Ich überlege ja auch, ob ich einen Antrag stellen könnte, immerhin bin ich Basler Bürgerin und habe ein Büro im Kleinbasel an der Feldbergstrasse. Wir müssen dann noch darüber reden.

Das Gryffemähli steht in diesem Jahr unter dem Motto: «staargg verwuurzlet».

Das passt zwar irgendwie nicht ganz zum Wilde Maa, der eine entwurzelte Tanne über seinem Kopf schwingt. Aber egal, ich mag den Wilde Maa. Und ich mag die Verwurzelung.

Obwohl man sich ja derzeit schon fragen kann: Was ist eigentlich los, dass diese Basler alle weg von ihren Wurzeln nach Bern wollen?

Und dann dort auch noch bleiben wollen.

Zuerst die Eva, also ich, dann Mustafa. Jetzt der Beat.

Aber in Wirklichkeit ist es ja gerade umgekehrt: Wir bringen unsere Basler Wurzeln nach Bern. Dort sind sie wichtiger denn je.

- weil mehr Basel in Bern nur gut sein kann.

- Mehr Urbanität im Ländlichen.

- Mehr Grenzerfahrung im Innern.

- Mehr Humor im Ernst der Politik.

- Mehr Läckerli für die Bauern.

- Und gerne derzeit auch mehr FCB bei YB.

Damit YB mehr wird wie der FCB. Und der FCB wieder wäre wie heute YB.

- Das wäre ein bisschen wie bei Mani Matter.

Vorsicht ich versuche mich in Berndeutsch:

o Dene wos guet geit, giengs besser

o Giengs dene besser wos weniger guet geit

o Was aber nid geit, ohni dass′s dene

o Weniger guet geit wos guet geit

 

Womit wir wieder bei der Politik wären.

Liebe Anwesende

«staargg verwuurzlet»:

Das ist grundsätzlich positiv. Man hat ein Zuhause. Weiss, wo man hingehört.

Aber wer ist schon immer am gleichen Ort? Und wo oder was ist überhaupt «Zuhause»?

Ich bin in Pratteln aufgewachsen. Als ich dann in Basel studierte, war ich eher mit anderen Baselbietern oder Fricktalerinnen befreundet. Die Bebbi kannten sich alle schon vom Gymi. Was sollten die mit einem Landei wie mir?

Danach in Neuhausen bei Schaffhausen in der Bäuerinnenschule war ich die Baslerin. Diejenige, die «Kigeli» sagte bei ihrem Vortrag über die Salzvorkommen in unserer Region, in den Ohren der Schaffhauserinnen.

Dabei spreche ich gar nicht richtig Baseldyytsch. Was Sie alle bezeugen werden.

Ännet dem Jura sagen sie oft Kanton Basel. Obwohl die Rampasse eher einen Besen fressen würden, als mit uns zu fusionieren. Und das alles sage ich als ehemalige Rampassin.

Und was ist mit Bern? Dort lernen sie gerade unsere Region kennen. Ob sie es wollen oder nicht. Sie raunen wegen Eric, Beat und mir von einer «Verbaslerung der Schweiz».

In Bern bin ich ohne Zweifel Baslerin. So wie meine Kollege aus Obwalden der Obwaldner ist. Und wenn wir beide uns in den Ferien in der Bretagne treffen? Dann kommen wir aus der Schweiz.

Definieren also die anderen, wo man verwurzelt ist? Und wechselt das die ganze Zeit?

«staargg verwuurzlet».

Ich mag dieses Motto gerade deshalb, weil es nicht eindeutig ist. In der Heimat ist es zuweilen auch eng. Und die Entwurzelung kann eine Befreiung sein.

Wenn sie denn gelingt.

Ich habe eben den Roman «Lieblingstocher» von Sarah Jollien-Fardel gelesen. Der mich sehr berührt hat.

Die Erzählerin beschreibt ihre Kindheit und Jugend in einem Walliser Bergdorf. Den gewalttätigen Vater. Die Umgebung, die wegschaut. Die Flucht von zu Hause. Kilometer zwischen sich und das Zuhause der Kindheit bringen. Um so überhaupt die Möglichkeit zu haben, ein neues Leben zu beginnen. Doch die Entwurzelung als Befreiung scheitert.

Es gelingt der Romanfigur nicht, neue Wurzeln zu schlagen. Die Wurzeln ihrer Kindheit sind zu stark. Geben sie nicht frei.

«staargg verwuurzlet» ist für sie eine Art Gefängnis.

Persönliches Gefängnis oder auch gesellschaftliche Ordnung?

In der Vormoderne fragte man nach der Herkunft einer Person. Um sie einordnen zu können. Entscheidend war die soziale Schicht. Und sie zu überwinden war schwierig. Heute sind wir stolz darauf, dass man alles erreichen kann. Wenn man hart arbeitet.

Oder wir reden es uns zumindest ein. Denn die einen schaffen es auch nicht, wenn sie hart arbeiten. Und die anderen schaffen es auch, wenn sie nicht arbeiten…

Und schon sind wir wieder bei der Politik.

«staargg verwuurzlet»: bedeutet auch, dass man jenen helfen soll und kann, die ihre Heimat verlassen mussten. Weil sie an Leib und Leben bedroht sind. Ihrer Rechte beraubt. Sie haben dieses Schicksal nicht gewählt. Ich denke an die Ukraine, die Frauen aus Afghanistan oder aus dem Iran, an den Sudan, an Jemen.

Das ist schrecklich. Weckt Sorge und Mitleid. Wir nehmen diese Menschen auf und versuchen, ihnen eine neue Heimat zu geben. Boden geben, um neue Wurzeln zu schlagen.

In den Schulen des Kleinbasels werden Kinder mit Migrationshintergrund seit vielen Jahren auch in der Sprache und Kultur ihres Herkunftslandes unterrichtet. Aus der pädagogischen Überzeugung, dass man sich eine neue Sprache und Kultur besser aneignen kann, wenn man sich seiner Herkunft bewusst ist. Wenn man seine herkömmlichen Wurzeln kennt, kann man am neuen Ort besser neue Wurzeln schlagen.

Und dazu tragen gerade auch Bräuche wie der Vogel Gryff bei, den die Kinder lieben, egal woher sie kommen. Und der ihnen ihr neue Heimat gerade auch emotional näher bringt.

Migration, Wanderungsbewegungen gab es schon immer. Zuwanderer wie die Hugenotten, später die sogenannten Gastarbeiter und heute die Fachkräfte aus der EU haben unser Land immer auch bereichert – kulturell, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Und haben dazu beigetragen, dass die Schweiz zu dem wurde, was sie heute ist:

Ein vielfältiges, weltoffenes und erfolgreiches Land. In unserer Region leben wir das, und wissen wir das. In unserer Region, deren Lebens- und Wirtschaftsraum sich über drei Länder erstreckt. Das versuchen wir «denen da äne in Bern» immer wieder zu sagen und mit dem «Triple» in diesem Jahr werden sie es vielleicht sogar begreifen!

Ich komme zum Schluss.

Vielleicht haben Sie einen roten Faden vermisst in meiner Rede. Also, rot war das sicher Vieles, womit ich das natürlich nicht politisch meine, sondern an die Farbe der Hären denke… Aber: Wurzeln sind verästelt und verzweigt, sonst würden sie keinen Halt finden im Boden und könnten die Bäume gar nicht tragen.

Damit es ihnen gut geht, brauchen Wurzeln immer wieder neue Nahrung, gerade um sich auch neue Bedingungen anpassen können. Damit weiter gilt: «staargg verwuurzlet»...

Starke Wurzeln halten Vielfalt aus, brauchen diese und lassen Veränderung zu. Gleichzeitig geben sie Halt. Wie das Brauchtum des Vogel Gryff. Mit Figuren wie dem Wilde Maa.

Den gibt es übrigens in vielen Kulturen. Er ist also global verwurzelt. Und vielfältig. Und es gibt auch Wilde Frauen… aber ich will nicht nochmals von vorne anfangen!

Ich wünsche uns allen weiterhin ein bekömmliches Mähli mit vielen guten Gesprächen.

 

Eva Herzog/20.1.2024