Sehr geehrter Herr Regierungsrat, lieber Lukas
Sehr geehrter Herr Verwaltungsratspräsident, lieber Martin
Liebe Aktionärinnen und Aktionäre
Sehr geehrter Herr Direktor, lieber Olivier
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zolli
Sehr geehrte Damen und Herren
Ich danke Ihnen für die Einladung und die Gelegenheit, ein paar Worte an Sie zu richten bei diesem stattlichen Jubiläum: 150 Jahre Zoo Basel, 150 Jahre Zolli.
Sie haben sich zu Ihrem Geburtstag ein rundum überzeugendes Buch geschenkt, wunderschöne und dokumentarisch wertvolle Fotos und ausgezeichnete Texte.
Während ich darin lese, startet mein eigener Stubentiger einen Angriff auf meine Beine. Er hat überschüssige Energie, weil er die vergangenen Regentage vor allem verschlafen hat, statt sein Revier zu verteidigen. Viel zu nass, und auch die anderen sind nicht da.
Er wälzt sich am Boden wie Garfield, attackiert die baumelnden Ladekabel meiner elektronischen Geräte, die eine reine Provokation darstellen und nur zum Spielen da sind für ihn, sowie überhaupt alles, was sich bewegt – und versucht meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ein zusätzliches Häppchen wäre seiner Ansicht nach nie falsch.
Gleichzeitig lese ich, dass Menschenaffen in den 60er Jahren wie Kinder erzogen wurden, schön dasitzen und von Tellerchen essen mussten. Dazu wurden sie mit Spielen unterhalten, in bester Absicht, da man sich sorgte, dass sie sich in «Gefangenschaft» - wie das genannt wurde – langweilen könnten.
«Gefangenschaft»? Fasziniert lese ich, dass in unserem Zolli etliche der Zootiere ihr Revier verlassen könnten, die tiefen Zäune überspringen, den Wassergraben durchschwimmen – dass dies auch schon vorkam, dass sie aber von selber wieder zurückgekehrt sind in ihr Gehege.
Weil sie dort alles haben, was sie zum Leben brauchen. Auch würden Tiere in der freien Natur nicht beliebig herumwandern, da ihnen Feinde Grenzen setzen oder definierte Reviere ihrer Artgenossen.
Und überhaupt, dass es nicht nur Gefangenschaft oder freie Wildbahn gibt, sondern sich heute viel dazwischen befindet. Etwa Tierparks, abgeschlossen zum Schutz der Tiere, oder Naturschutzparks, damit Tiere ihren Lebensraum behalten und nicht ausgerottet werden.
Der Mensch dringt immer stärker in den Lebensraum der Tiere vor. Dadurch kommt es auch zur Übertragung von Krankheiten vom Tier auf den Menschen, von neuen Krankheiten, gegen die der Mensch noch keine Abwehr entwickelt hat. Aber auch umgekehrt: die Tiere werden mit neuen Keimen konfrontiert, die der Mensch einschleppt. Darüber haben sich die meisten von uns beim Lernen über Covid zum ersten Mal Gedanken gemacht.
Müssen wir neu denken, wo der Mensch und wo das Tier lebt und wie der Mensch hier Einfluss nimmt? Was Gefangenschaft ist und was Freiheit? Was gut ist für das Tier? Ja, natürlich, aber das geschieht schon lange und hierbei haben die Zoos eine zentrale Rolle.
Liebe Anwesende
Warum gibt es überhaupt Zoos? Wie kam es zum ersten und schönsten der Schweiz? Das ist er nämlich. Der Zürcher Zoo ist zwar doppelt so gross, aber der sieht so künstlich angelegt aus! Unserer kommt ganz natürlich daher, das mit der Stadtoase ist einfach wahr. Und er wirkt grösser als er ist, wofür Tricks angewendet wurden: die Wege sind nicht gerade, sondern krumm, so sieht man deren Ende nicht, und deshalb wirkt er viel grösser! Der Zürcher Zoo ist ein Schachbrett, viel zu wenig grün – mindestens bei meinem einzigen Besuch vor etlichen Jahren….
Natürlich war ich als Kind im Zolli und in den langen Erlen, die noch älter sind als der Zolli.
Interessant fand ich in Ihrem schönen Buch zu lesen, dass der Zolli nicht mit exotischen Tieren angefangen hat, sondern mit einheimischen: Steinböcke, Hirsche, Gämsen, Wildschweine, Bären, Fischotter, Räubvögel und Stelz- und Wandervögel – es waren Vertreter der Ornithologischen Gesellschaft, die den Zolli 1873 gegründet hatten, damit sich die Menschen in der rasant wachsenden und stark industrialisierten Stadt in einem schönen Flecken Natur sollten erholen können.
Aber das fanden die Leute schnell langweilig. Exotisches musste her und so ist der Zolli entstanden, wie wir ihn heute kennen, mit dauernder Veränderung in der Tierhaltung. Der Voyeurismus der Anfänge ist schon lange dem Wohl des Tieres gewichen. Dieses steht im Zentrum.
Zum Voyeurismus gehören auch die sogenannten Völkerschauen… zwischen 1879 und 1935 fanden 21 statt, Menschen aus Afrika, Südostasien oder der russischen Steppe wurden zur Schau gestellt, sie tourten durch die Zoos Europas. Diese lange Zeitdauer war mir nicht bewusst.
Darin kommt dieselbe Wertung respektive Abwertung zum Ausdruck, mit der man Sklaverei in den Kolonien rechtfertigte: Das sind nicht Menschen wie wir, sie sind näher bei Tieren. Mit diesen Schauen wurde diese Geisteshaltung über die Kolonien hinaus in der Welt verbreitet und hat so rassistisches Gedankengut weiter verstärkt, mit dessen Bewältigung wir bis heute kämpfen.
Die Schauen hörten leider nicht auf, weil die Leute sich dagegen empörten – sondern irgendwann hatte man ganz einfach auch das gesehen…
Liebe Anwesende
Heute stehen das Tierwohl und der Artenschutz im Zentrum, ohne Wenn und Aber. Der Zolli-Direktor hielt kürzlich in einem Interview befriedigt fest, dass die Weltnaturschutzunion im Oktober vergangenen Jahres ein Positionspapier verabschiedet habe, in dem stehe, dass ohne Zoos die Idee des Arten- und Naturschutzes nicht möglich wäre. Man spürte, wie gut ihm das tut, neben all den grundsätzlichen Diskussionen, die zur Existenz von Zoos heute geführt werden.
Im selben Interview sagt Olivier Pagan, dass ein grosses Säugetier oder ein Tier mit Fell die Menschen stärker interessiere als etwa eine Seegurke im Aquarium.
Wie wahr auch für mich – und doch: als ich mit meinen Kindern den Zolli wieder ganz neu entdeckte, entdeckte ich auch das Vivarium für mich. Dieses Fest an Formen und Farben, welche die Natur hervorzaubert – vom kleinen Seepferdchen – wo die Männer gebären – über die Seegurke und all die farbenfrohen Fische mit Augen an allen möglichen und unmöglichen Stellen, gross und klein, dick und flach, bis zu den Pinguinen, die auf Land so plump und im Wasser so wendig sind. Ich habe gerade im Vivarium meine Ehrfurcht vor der Natur und was sie alles so hervorbringt neu entdeckt.
Dass unser Zolli-Direktor, der als Tierarzt im Zolli angefangen hat, nun schon seit so vielen Jahren im Zolli arbeitet, das kann ich gut verstehen. Lesen Sie das Kapitel über die Pediküre des Flusspferdbullen «Wilhelm» und andere Beispiele der Behandlung und Pflege der Tiere des Zolli, die so unterschiedlich sind. Gibt es einen vielfältigeren Arbeitsort?
Ich gehöre ja auch zu denen, die es eigentlich mit den grossen Säugetieren haben, die mit Fell, die man knuddeln möchte… Oder fasziniert bin von den Tonnen, die Elefanten, Flusspferde und Nashörner auf die Waage bringen.
Zu denjenigen, die stundenlang im Affenhaus stehen könnte, um der Gruppendynamik bei den Gorillas zuzusehen – obwohl ich von Silberrücken in der Politik nicht sooo begeistert bin… Die in die Tiere hineininterpretiert, wie in den eigenen Stubentiger: Ei, wie er schaut, jetzt ist er traurig, wütend, jetzt denkt er…
Denkt? Olivier Pagan schreibt in einem Beitrag ganz selbstverständlich davon – ich stutze. Und lese weiter im folgenden Beitrag über Forschung mit Menschenaffen, dass eine erste Auswertung der bisherigen Daten gezeigt habe, ich zitiere: «dass Menschenaffen – genauso wie wir Menschen – in den oben genannten Schablonen denken.»
Und wenn es also kognitiv keine grossen Unterschiede gebe zwischen Menschen und Menschenaffen, dass man nun der Frage nachgehe, warum die Menschenaffen dann keine Sprache entwickelt hätten.
He? Ich stelle das in den Familienchat und mein älterer Sohn, Student der Geschichte und Philosophie, der beim Basler Professor Markus Wild Tierethik studiert hat, schreibt sofort: «Die Sprache ist meistens der entscheidende Unterschied vom Menschen zum Tier. Was Denken bedeutet ist auch Definitionssache…» Darauf schickt mein Lebenspartner und Biologe, gerade auf Reisen, ein trockenes SMS: «Affen können nicht denken».
So, das wäre dann der Diskussionsstoff für die Hauptspeise, die Sie sich nun redlich verdient haben!
EH/6.6.2024