120 Jahre SP Schaffhausen, 29. Juni 2024, ab 17.30h
Liebe Genossinnen und Genossen
Liebe Anwesende
Ich freue mich sehr, heute hier bei Euch zu sein. Ich habe schon ein tüchtiges Programm hinter mir: Die Einstimmung mit einer ehemaligen Regierungsrätin von euch, eine kleine Wanderung durch die Rebberge mit einem feinen Mittagessen. Dann ein Interview bei Tele D, das vergangene Woche auch in der Verkehrskommission des Ständerats Thema war. Dabei wurde der Sender so beschrieben: Dort wird alles, was in der Schweiz Rang und Namen hat, mal interviewt... in dem Sinn, danke schön!
Und nun freue ich mich darauf, mit Euch euer stolzes Jubiläum zu feiern: 120 Jahre SP Schaffhausen. Ein rotes Team, das für den Sieg kämpft, wie zurzeit auch unsere Fussball-Nati. Der Anpfiff zum nächsten Spiel ist in fünf Minuten, eine echte Herausforderung, ich werde nicht zu lange reden!
Ungeachtet, wie dieses Spiel ausgeht, wir haben zu feiern: Wir feiern die Solidarität. Und wir schauen zurück auf Euer grosses Engagement für Gerechtigkeit, für fairere Verteilung, für Gleichstellung, für Chancengleichheit und für starke Sozialwerke. Auf Euren unermüdlichen Einsatz für eine klimaverträgliche und offene Gesellschaft.
Viele Jahrzehnte gehörte Euer Kanton zu den roten Hochburgen – so wie meiner auch. Seit hundert Jahren schickt Ihr ein Mitglied in den Nationalrat, das ist eine bemerkenswerte Leistung, wenn man bedenkt, dass es einen Wählendenanteil von mindestens 33 Prozent braucht. So hoch liegt die Latte in fast keinem anderen Kanton. Aber ihr habt in Euren Reihen immer wieder Top-Leute gefunden, und seit ich Martina kenne, weiss ich, warum das bei euch klappt!
Kein Wunder, habt ihr auch immer wieder Frauen und Männer in die Spitzen der SP Schweiz entsandt: Ursula Hafner als Fraktionspräsidentin sowie Walther Bringolf und Hans-Jürg Fehr als Parteipräsidenten.
Pünktlich zum Jubiläum habt ihr mit Simon Stocker zum zweiten Mal in Eurer Geschichte einen Ständeratssitz errungen. Ich weiss, andere hat das „Minder“ gefreut, die haben sich glatt am Trybol-Mundwasser verschluckt.
Vorher ist dies – einen Sitz in der kleinen Kammer zu erobern – erst einmal gelungen, mit Esther Bührer 1979. Eine Frau war damals im Ständerat noch eine Rarität. Heute sind wir immerhin 16, mit 35 Prozent waren wir noch nie so viele. Und ich kann Euch sagen – ich habe in diesem Jahr schliesslich den Überblick – es ist ein viel schöneres, bunteres Bild als früher. Es nähert sich allmählich der realen Welt...
Liebe Genossinnen und Genossen
Ich habe mich sehr auf den Besuch bei Euch gefreut. Ihr seid und habt uns Baslerinnen und Baslern schliesslich etwas voraus: Alles was bei Euch den Rheinfall runter fällt, fliesst dann später bei uns vorbei. Ihr seid die Avantgarde.
Von Basel aus führen viele Weg nach Schaffhausen. Bahnwege sind es zwei: Der eine führt über Zürich, aber das ist zweifelsfrei nur die zweitbeste Lösung. Mal wegen Zürich… und die Reisezeit ist fast verdoppelt so lang, zumindest, wenn die deutsche Bahn den Fahrplan einhält.
Eben: Der direkte Weg mit der Hochrheinbahn wäre klar der bessere – bei Pünktlichkeit und wenn die Strecke endlich durchgehend elektrifiziert wäre. Ich weiss nicht, wie lange wir schon davon reden, es ist unfassbar. Also ob man nicht sicher wäre, ob das mit dem Strom eine sichere Sache ist. Nun soll das kommen und die Strecke wird dann endlich in den schweizerischen Taktfahrplan und ins Tarifsystem integriert. Das hätte mich auch vor über 40 Jahren schon gefreut. Mon dieu, so lange ist das her. Da habe ich auf dem Charlottenfels in Neuhausen die Bäuerinnenschule absolviert. Da staunt ihr! Markus Ritter hat es mir vor eineinhalb Jahren offenbar auch nicht geglaubt…
Die Hochrheinbahn wird die Beziehungen zwischen Schaffhausen und Basel nochmals auf eine ganz neue Ebene befördern; haben wir doch sehr viel gemeinsam: Wir stellen ja beide immer wieder fest, dass die Anliegen und Bedürfnisse von uns sogenannten «Randregionen» nicht wirklich ernst genommen werden. Dabei wird übersehen: Mehr als die Hälfte aller Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz lebt in einer Grenzregion. 15 Kantone haben eine Grenze mit einem unserer Nachbarländer Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich oder Liechtenstein. Wenn man es richtig betrachtet sind wir quasi eine einzige Grenzregion mit einem kleinen Inland-Kern in der Zentralschweiz.
Die Schweiz ist ohne diese Grenzregionen und den Austausch über die Grenzen hinweg nicht denkbar. Das wissen wir, die an den Grenzen und über die Grenzen hinaus leben. Das Gesundheitswesen und viele Dienstleistungen in Schaffhausen, Basel, Genf oder im Tessin würden ohne die fast 400'000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger zusammenbrechen.
Wir sind mit unseren Nachbarn vielfältig und eng verflochten: Wir teilen Lebensraum, Freunde und Familie und auch Werte.
Spätestens seit den Kriegen gegen die Ukraine und in Nahost haben viele wieder realisiert, dass Europa zusammengehört. Dass ein friedliches, demokratisches Zusammenleben keine unveränderbare Selbstverständlichkeit ist. Dass wir mit denjenigen zusammenarbeiten müssen, die unsere Werte teilen, und die uns am nächsten sind.
Umso mehr sind die Abkommen mit der EU für unsere Zukunft von entscheidender Bedeutung. Meiner Ansicht nach sind die Resultate der Sondierungsgespräche gar nicht so schlecht. Die EU ist uns in einigen wichtigen Punkten entgegengekommen, über anderes gilt es noch zu reden. Uns ist es wichtig, dass unsere hohen Standards im Bereich Lohnschutz und Sozialwerke gewahrt bleiben, und gerade hier hat die EU Zugeständnisse gemacht.
Ein baldiger Abschluss der Verhandlungen ist wichtig, noch mit der alten EU-Kommission – sonst verzögert sich alles massiv. Und dann stehen auch schon wieder die nächsten eidgenössischen Wahlen an und die SVP wird es schaffen, dass wir primär über ihre Initiative (10-Millionen-Schweiz) reden.
Mit dieser Initiative rückt die SVP die Zuwanderung wieder einmal ins Zentrum des Interesses. Bei den Beziehungen zu Europa? Wo wir froh sein können, wenn wir unseren Arbeitskräftemangel – es geht nicht nur um Fachkräfte – auch in den kommenden Jahren mit Menschen aus dem europäischen Raum decken können.
Unsere Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren besser entwickelt als diejenige unserer Nachbarländer, weil wir weiterhin genügend Arbeitskräfte anlocken konnten. Unsere Nachbarländer reagieren darauf inzwischen mit finanziellen Anreizen, wie Steuererlassen – damit ihre Bürgerinnen und Bürger nicht mehr auswandern, weil sie angesichts der eigenen demographischen Entwicklung, Alterung der Bevölkerung, inzwischen selber dringend auf deren Arbeitskraft angewiesen sind. Ich frage deshalb: ist es wirklich notwendig, mit der EU über eine «Schutzklausel» bei der Personenfreizügigkeit zu sprechen? Die Alterung der Bevölkerung ist ein Fact – wer ersetzt die älteren Leute auf dem Arbeitsmarkt und wer pflegt sie bei Krankheit und im Alter?
Es geht um Wirtschaft – Ja – aber es geht noch um viel mehr, ich habe es schon gesagt. Es geht insgesamt um die Zugehörigkeit zu einem Wertesystem in diesen politisch unruhigen und für uns alle ungewohnt ungemütlichen Zeiten. Konflikte sind nicht mehr einfach weit weg. Und zu denken, andere werden es schon richten, das geht nicht mehr. Wir sind gefragt. Wir müssen Position beziehen.
Wenn mir dieses Präsidialjahr etwas gezeigt hat, dann dies: Die alte Weltordnung gilt nicht mehr, die Welt sortiert sich neu, um neue Pole. Und die westlichen Werte, Demokratie, Menschenrechte, sind auf dem Rückzug. Das ist keine gute Nachricht. Wir haben das Interesse an einem starken Europa, demokratisch aufgebaut, international solidarisch und integrativ im Innern. Und hier gehören wir dazu. Dies verlangt auch Schritte von uns, auf die Europäische Union zu.
Ich hoffe, dass gerade unsere Partei, die nicht den Reduitgedanken pflegt, das Resultat der EU-Verhandlungen dann unvoreingenommen prüft und bewertet. Unsere Positionierung spielt in dieser Frage eine entscheidende Rolle.
Liebe Genossinnen und Genossen
Ich werde immer wieder gefragt, welches bisher der schönste Moment in meinem Präsidialjahr war. Es gab schon viele, und ich bin sicher, es kommen noch viele weitere dazu. Beispielsweise Euer Fest heute.
In besonderer Erinnerung ist mir aber sicher der Frauentag. Über 350 Frauen folgten am 8. März meiner Einladung ins Bundeshaus zum Tag der Frau. Für uns alle war es ein «Kraft-Tag» der Superlative! So tolle Frauen aus Wirtschaft, Industrie, Gewerbe, Landwirtschaft, Kultur, Politik und aus Jugendorganisationen bis hin zum IKRK. Es gibt keinen Bereich, wo wir Frauen nicht mit Kompetenz und Umsicht unseren Beitrag leisten können. Das nehme ich aus diesem Tag mit.
Im Mittelpunkt stand die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen. Ich bin der festen Überzeugung: Sie ist das Fundament und die Bedingung dafür, dass der rechtlichen Gleichstellung der Frauen auch die tatsächliche folgt – und das nicht erst in 100 Jahren! Dazu braucht es Lohngleichheit, ein Steuersystem, das nicht länger die traditionelle Familie begünstigt und erschwingliche Kita-Plätze – doch wem sage ich das, hier bei euch ist das wahrlich Wasser in den Rhein getragen!
Deshalb komme ich jetzt zum Schluss, liebe Genossinnen und Genossen. Der Match ruft und ein kühles Bier an diesem heissen Tag.
Stossen wir an, auf 120 Jahre SP Schaffhausen! Auf euer Engagement für ein besseres Leben für alle in einer intakten Umwelt!!
EH/29.6.2024