Internationaler Tag der Frau vom 8. März 2024 im Bundeshaus
Eröffnungsrede von Ständeratspräsidentin Eva Herzog
Liebe Frauen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
Mesdames
Care donne
Charas dunnas
Herzlich willkommen im Bundeshaus!
Was für ein eindrücklicher Moment, was für ein Blick in den Saal! So viele engagierte Frauen gemeinsam am internationalen Tag der Frau im Bundeshaus.
Das bedeutet mir viel. Es sind nämlich Gleichstellungsfragen, die mich politisiert haben.
Il y a 31 ans, j’étais sur la Place fédérale en compagnie d’une foule d’autres femmes. Nous étions toutes différentes. Mais ce jour-là, une chose nous unissait : notre mécontentement. Nous étions fâchées par le traitement injuste infligé à la candidate au Conseil fédéral de l’époque, Christiane Brunner. Par les attaques personnelles et le dénigrement à son égard. Nos protestations ont abouti à l’élection de Ruth Dreifuss, qui est aujourd’hui parmi nous. J’en suis extrêmement heureuse!
Depuis, beaucoup de choses ont changé. Et pourtant, nous sommes encore bien loin du but.
Auch hier drin sind wir sehr verschieden.
Was uns eint, ist das Bewusstsein,
• dass nicht selbstverständlich ist, dass wir heute hier stehen,
• dass es dazu das Engagement vieler Frauen für gleiche Rechte und Gleichstellung gebraucht hat,
• und dass wir dieses Engagement für Gleichstellung weiterführen müssen.
• Dass wir an diesem «Ort der Debatte» die Debatte weiterführen müssen, welches der richtige Weg dahin ist.
Bundespräsidentin Viola Amherd hat diesen Anlass von Anfang an unterstützt. Ich freue mich, dass sie für ein kurzes Gespräch hier sein kann.
Ebenso danke ich allen anderen Frauen, die uns Inputs und Inspiration geben werden. Gerade Mirjana Spoljaric, die Präsidentin des internationalen Rotes Kreuzes, die stark gefordert ist in diesen schwierigen Zeiten.
Liebe Frauen,
Meine Freundinnen erzählen mir, dass ihre Töchter zurzeit mit Feuereifer in den «Good night Stories for Rebel Girls» lesen.
Diese sind voll mit Geschichten von aussergewöhnlichen und engagierten Frauen, die etwas verändert haben:
• Es sind unterschiedlichste Frauen wie Kleopatra, Beyoncé, Marie Curie, Astrid Lindgren.
• Oder Manal al-Sharif, die sich im Jahr 2011 in Saudi-Arabien hinters Steuer gesetzt und ein Video der gewagten Aktion gepostet hat.
Es sind Heldinnengeschichten, die Mut machen, und die Aussage ist stets: Jedes Mädchen kann etwas erreichen. Kann einen Unterschied in dieser Welt machen. Es sind tolle Geschichten, aber sie sind auch trügerisch. Denn nie ist eine Frau einfach ihres eigenen Glückes Schmiedin. Und wenn sie es nicht «schafft», dann ist sie halt selber schuld. Immer braucht es auch die richtigen Strukturen und die passenden Rahmenbedingungen, die Engagement und Unabhängigkeit ermöglichen.
Und genau die Unabhängigkeit ist unser Hauptthema heute. Damit Frauen frei und selbstbestimmt agieren können, müssen sie auch finanziell unabhängig sein. Und das ist oft nicht der Fall. Hier in der Schweiz und überall auf der Welt.
Lassen wir uns von den Heldinnenerzählungen nicht täuschen. Es braucht neben Zivilcourage auch systemische Änderungen:
• In der Arbeitswelt
• in der Altersvorsorge und
• im Steuerrecht.
Mesdames
Arbeitet eine Frau ihr ganzes Arbeitsleben immer mit einem hohen Pensum, so wird sie ähnlich viel verdienen wie ein Mann. Und auch eine ähnlich hohe Rente haben:
• Ausser sie arbeitet in einem typischen Frauenberuf. Diese sind immer noch schlechter bezahlt.
• Oder sie ist von nicht erklärbarer Lohnungleichheit betroffen. Dann verdient sie im Durchschnitt 718 Franken pro Monat weniger als ihre Kollegen. Und erhält später auch weniger Rente.
Und die familienexterne Kinderbetreuung? Sie ist vielerorts gut. Aber sehr teuer:
• Ein Vollzeitplatz in der Kita frisst mehr als ein Viertel des gesamten Familieneinkommens. Das zeigt eine Studie der OECD, wo wir auf dem letzten Platz landen.
Das Resultat ist bekannt: Viele Frauen bleiben zu Hause statt ausser Haus arbeiten zu gehen; weil die Kita den zusätzlichen Lohn wieder wegfrisst.
• Das in unserem wohlhabenden Land.
• Wo Fachkräftemangel herrscht.
• Wo ohne Zuwanderung viele Institutionen nicht funktionieren würden – unsere Heime und Spitäler etwa.
Kinderbetreuung ist nich einfach eine Unterstützung der Mütter. Sie ist eine notwendige Infrastruktur. Genauso wie die Tunnel, der öffentliche Verkehr, die Spitäler oder die Universitäten.
Denn: Wenn Frauen Teilzeit arbeiten, dann sollte das ihre persönliche Entscheidung sein und kein Problem. Es ist aber eines. Denn der Entscheid für Teilzeitarbeit kann massive Auswirkungen auf die finanzielle Unabhängigkeit und die Karriere haben:
• Wer Teilzeit arbeitet, steht in der Chefetage vor verschlossener Türe.
• Wer Teilzeit arbeitet hat weniger Lohn und das bedeutet später auch weniger Rente.
• Nur etwa die Hälfte der Frauen haben eine zweite Säule, bei den Männern sind es fast 70 Prozent.
• Dazu kommt, dass die Frauenrenten aus der zweiten Säule rund 46 Prozent tiefer sind als jene der Männer.
• Eine halbe Million arbeitstätiger Frauen hat nur eine Rente aus der AHV.
À cet égard, la forte participation au scrutin de dimanche et le résultat en faveur de la 13e rente AVS sont un signal clair. Toutes opinions confondues sur ce projet, un point fait l’unanimité : les rentes doivent être adaptées. En particulier pour les femmes qui reçoivent plus souvent de faibles rentes ou qui n’ont que l’AVS pour vivre.
Ces prochaines années, il y aura d’autres réformes et d’autres votations concernant nos institutions sociales. Nos avis divergent sur le sujet, et c’est absolument légitime. En revanche, nous devons continuer de nous poser une question décisive : Que pouvons-nous faire pour améliorer l’indépendance financière des femmes ?
Dazu gibt es eine tolle Hilfestellung: die Organisation Alliance f, die uns heute stark unterstützt hat, hat «Cash or Crash» entwickelt. Dieser Internet-Rechner zeigt blitzschnell und eindrücklich, welche Folgen unsere Lebensplanung hat. Es geht etwa um Teilzeitarbeit, Ausbildung, Kinder oder Heirat. «Cash or Crash» hilft Entscheide zu treffen, damit es nach einer Trennung oder im Alter nicht zu prekären Einkommenssituationen kommt. Wir können es wissen - warum entscheiden wir uns dann oft gleichwohl anders? Das hat auch mit gewissen, festgeschriebene Rollenbildern zu tun. Sie prägen noch immer unsere Gesellschaft.
Zum Beispiel das Steuerrecht. Heirat lohnt sich heute steuerlich, wenn die eine Person voll arbeitet und die andere nur wenig oder gar nicht. Sonst schlägt die sogenannte Heiratsstrafe voll zu. Diese abzuschaffen, darüber sind wir uns ziemlich einig – über das WIE schon wieder weniger!
Dass wir damit aber nicht warten sollten, zeigt die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichts. Es hält in mehreren Leiturteilen fest, dass Mann und Frau nach einer Trennung in der Lage sein müssen, zu arbeiten und für sich selbst zu sorgen. Die Ehe ist keine Lebensversicherung mehr.
Es braucht aber die bereits genannte «Infrastruktur», welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht. Sonst werden Frauen bestraft, welche die Berufstätigkeit für die Familie aufgegeben haben. Das ist das Hauptanliegen des heutigen Tags der Frau: Das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie wichtig die finanzielle Unabhängigkeit für Frauen ist, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Das gilt
• für die gesellschaftliche und politische Teilhabe
• für den beruflichen Aufstieg
• und für die individuelle Freiheit.
Die finanzielle Unabhängigkeit ist auch die Voraussetzung dafür, dass keine Frau aus ökonomischen Gründen in einer Bindung bleiben muss, die sie eigentlich beenden möchte, was besonders schlimm ist bei Gewalt in Beziehungen.
Liebe Frauen,
Geld bedeutet Macht! Und wir können mit Geld umgehen und mit Macht auch!
Diese Macht ist umso grösser, wenn wir uns gegenseitig unterstützen und die Gleichstellung weiterbringen. Das gemeinsame Engagement für die Frauen in unserem Land einigt uns heute hier. Es freut mich sehr, dass wir Frauen aus allen politischen Lagern sind. Aus allen Landesteilen und aus allen Bereichen der Gesellschaft.
Die letzten Worte überlasse ich unserer ersten Bundesrätin Elisabeth Kopp – auch ein «Rebel Girl» – die einst treffend gesagt hat: «Man kann nicht ein bisschen gleichgestellt sein. Entweder man ist es, oder man ist es nicht.»