«Neun von zehn Städten sind in rot-grüner Hand – und es geht ihnen gut!»

16. April 2018: Grusswort als Ehrengast am Sechseläuten bei der Zürcher Zunft zur Schmiden

Hochgeachteter Herr Zouftmeister
Hochgeachteti Herre Altzouftmeister
Zouftmeister, Masters
Sehr geehrter Herr Bundesrot Ignazio Cassis
Sehr geehrte Herr ETH-Präsident Lino Guzzella
Sehr verehrti Ehregescht und Gescht
Mini liebe Schmidezöifter, Awärter, Schmidegselle und Zöifterssöhn

Ganz herzlichen Dank für die Einladung, die ich sehr gerne angenommen habe. Natürlich hauptsächlich, weil mich als Historikerin die teilnehmende Beobachtung fremder Kulturen sehr interessiert. Ihr äusserst sympathischer Zunftmeister, auf den seine 11 Basler Jahre eindeutig abgefärbt haben, trug aber das Seine dazu bei, dass ich mich seither auf den Anlass freue – einmal im Leben ans männertümmelnde Sechseläuten, das lasse ich mir nicht entgehen!

Aber was erzähle ich Ihnen, den Zürchern? Den Zürchern, die die Animositäten zwischen Basel und Zürich immer als Basler Problem abgetan haben, das sie nur milde belächeln – was uns wohl am meisten nervt …

Den Zürchern, die Basel als ersten oder zweiten Kanton eingeladen haben, als sie das mit den Gastkantonen gestartet haben, da sich offenbar nicht mehr genügend Zürcher fanden, die da mittraben wollten – und die Zürcher Frauen wollen Sie ja nicht; deren «Zunft» – wenn das denn eine ist – haben Sie kürzlich das Gastrecht am Sechseläuten verlängert, das ist ja wahnsinnig nett.

Also, der Rest der Schweiz muss her, zumindest die Männer. Und dann lud man 1993 gleich Basel ein. Um zu sehen, wie sich die ewigen Fasnächtler machen? Ich weiss, ich weiss, das hier ist keine Fasnacht. Das stimmt. An der Basler Fasnacht macht man sich nämlich über die Obrigkeit lustig, Frauen und Männer zusammen, während am Sechseläuten die männliche Obrigkeit feiert, dass die da unten wieder eine Stunde länger arbeiten – und die jubeln ihnen dann noch vom Strassenrand zu!!!

Wie wir alle wissen, fiel der Böögg beim letzten Mal, als Basel eingeladen war, auf die Nase, bevor er richtig brannte. Der Sommer 1993 ging ja dann wettermässig ziemlich in die Hosen, jetzt regnet es heute schon – was haben Sie sich eigentlich versprochen von der Einladung?

Eine Verbesserung der Beziehungen? Nicht nötig in meinem Fall. Bei der Unternehmenssteuerreform III habe ich meinen Ruf in meiner eigenen Partei ruiniert, um dem armen Zürich zu helfen, was Säckelmeister Stocker dankend angenommen hat, Säckelmeister Leupi aber gar nicht passte. Jetzt scheinen sich die beiden zusammengerauft zu haben, weil Stocker genügend Geld rüberschiebt, und zusammen unterstützen sie jetzt in etwa dasselbe wie beim letzten Mal, aber das ist eine andere Geschichte.

«Wenn Zürich jammert, ist es der Restschweiz ziemlich egal. Das ist ähnlich wie mit der Schadenfreude, dass der erfolgsverwöhnte FCB in diesem Jahr nicht Meister wird.»

Das war übrigens Ihr bester Schachzug in Sachen Marketing für Zürich, einen Bauern zum Finanzdirektor zu machen: Wenn Zürich jammert, ist es der Restschweiz ziemlich egal. Das ist ähnlich wie mit der Schadenfreude, dass der erfolgsverwöhnte FCB in diesem Jahr nicht Meister wird.

Uns Baslerinnen und Basler mag man auch nicht übermässig. Heute gelten wir als Lobbyisten der bösen Pharma, welche mit übersetzten Preisen von der Not der Leute profitiert. In den alten Schweizer Filmen waren die luschen Gestalten, die Ganoven, oft Basler. Aber Ihnen geht es da nicht besser: Die Zürcher gelten als selbstherrlich und arrogant, und dass die Banken einen ans Bein bekommen haben, das wurde zwar wegen «too big to fail» ernst genommen, aber dass die Gesellen vom Paradeplatz mal keine Boni erhalten, das hat niemanden gestört.

Wenn jetzt aber Kollege Stocker in bester bäuerlicher Manier jammert und klagt, dass doch die Restschweiz dem gebeutelten Zürich helfen möge und den Untergang Zürichs heraufbeschwört, wenn die zinsbereinigte Gewinnsteuer nicht kommt mit der neuen Vorlage zur Unternehmensbesteuerung, dann knickt sogar Jacqueline Badran ein! Weil sich das nie jemand merken konnte, heisst das Instrument jetzt neu übrigens: Abzug für Eigenfinanzierung, klingt netter, auch eine Erfindung Ihres Finanzdirektors …

Über Abwesende soll man nicht reden – aber Ernst verzeiht mir das, Sie können ihm alles erzählen. Als ich ihn fragte, wie das wohl werden würde bei einer Zürcher Zunft, die seien scheintʼs derber als die Basler, da meinte er bloss: «Muesch eifach zrugg gäh, so wie dʼs mit mir machsch!»

Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Wirtschaftszentren – ja, Sie hören richtig, es gibt nicht nur EIN Wirtschaftszentrum in der Schweiz – ist längst etabliert.

Ist es also mit der wunderschönen Tradition des Triezens vorbei? Nehme ich die letzte Fasnacht als Gradmesser, sieht es fast so aus. Ich muss Ihnen leider sagen, dass Ihnen die Baselbieter den Rang abgelaufen haben. Nie tobt das Publikum so ungehemmt wie bei den meist bitterbösen Schnitzelbänken über die Baselbieter, über diese ungebildeten Bauern, Geizkragen, die ein Loch in der Kasse haben, weil sie alles Geld dazu verwenden, ihre schöne Landschaft mit Strassen zuzubetonieren, damit sie mit ihren lächerlichen Offroadern vom Hügel runter in die grosse Stadt driven können … Und dann reicht das Geld nicht mehr für Uni und Theater! Professor Guzzella hat schon Müsterchen dieser Diskussionen mitbekommen, da streiten wir uns viel lieber mit ihm!

Denn, wie sogar die «NZZ am Sonntag» schreibt: «Inzwischen fühlt sich der Zürcher dem Basler oder dem New Yorker verbundener als dem Flaacher oder dem Fischenthaler!»


«In urbanen Gebieten werden 84 Prozent der Wirtschaftsleistung erbracht, während das konservative Umland das Bild der ländlichen Schweiz pflegt. Die Linken halten die Wirtschaftsmotoren am Laufen und verteilen dann die Mittel nach sozialer Gerechtigkeit – das ist die Realität in der heutigen Schweiz!»

Au revoir, Röstigraben – jetzt ist Stadt-Land-Graben angesagt. Neun von zehn Städten sind in rot-grüner Hand – und es geht ihnen gut! In urbanen Gebieten werden 84 Prozent der Wirtschaftsleistung erbracht, während das konservative Umland das Bild der ländlichen Schweiz pflegt. Die Linken halten die Wirtschaftsmotoren am Laufen und verteilen dann die Mittel nach sozialer Gerechtigkeit – das ist die Realität in der heutigen Schweiz!

Und Sie, die hier Anwesenden? Als wirtschaftsliberale Vertreter von Zürich halten Sie eine Tradition von Vereinigungen hoch, deren Sinn und Zweck Regulation und Protektionismus waren. Sie pflegen in der Stadt einen Brauch, der ländlicher nicht anmuten könnte, indem Sie hoch zu Ross um einen Schneemann traben und diesen anzünden – das gibt es in unserer Region auch: In Pratteln verbrennt man den Butz und in Sissach den Chluri und zündet Höhenfeuer an! Oder sind Sie angesichts des neu erwachten Protektionismus unserer Tage uns allen einfach eine Nasenlänge voraus? Aber dieses Terrain überlasse ich gerne unserem Herrn Bundesrat.

Damit komme ich zum Schluss und zum Geschenk: kein heisses Eisen, kein Amboss oder eine Feuerzange, das haben Sie wohl schon in jeder Ausführung, sondern ein Basiliskenbrunnen, wie sie in unserer schönen Stadt stehen, en miniature, zum Zeichen unserer städtischen Verbundenheit.

Nochmals ganz herzlichen Dank für die Einladung, ich freue mich darauf, diesen geschichtsträchtigen Tag mit Ihnen zu verbringen, und trinke auf die ehrenwerte Zunft zur Schmiden!

16. April 2018