Literaturhaus, Dienstag, 25. Februar 2025, 19h,

Drei Jahre Angriffskrieg auf die Ukraine


Grusswort Ständerätin Eva Herzog

Liebe Gäste aus der Ukraine
Liebe Anwesende

Gestern jährte sich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zum dritten Mal. Wir hatten alle die Hoffnung, dass dieser Krieg nicht so lange dauern würde, was sich schon an der Schaffung des Schutzstatus S zeigt, einer besonderen Massnahme im Asylwesen, mit der schnell auf den plötzlichen Zustrom von Menschen aus der Ukraine sollte reagiert werden können und der als zeitlich befristet betrachtet wurde.

Das reiht sich ein in eine Reihe von Irrtümern, die immer länger wird.

Als Russland im Jahr 2014 die Krim besetzte, wollten wir dahinter keinen langfristigen Plan sehen, wir nahmen das nicht ernst.

Noch wenige Tag vor dem Einmarsch Russlands im Februar 2022 dachten wir nicht, dass es so weit kommen würde.

Nach einem Jahr Krieg, beeindruckt vom Widerstand der Ukraine, dachten wir, dass der Krieg bald vorbei sein würde, nicht zuletzt auch aus Vertrauen auf die USA.

Im Verlauf des Jahres 2024 wuchs allmählich die Angst, dass die Ukraine nicht mehr lange standhalten und nicht aus einer Position der Stärke heraus in Friedensverhandlungen gehen würde.

Und vor der Amtseinführung von Donald Trump am 20. Januar 2025 streifte uns in unserem Grundvertrauen in die westliche Allianz Europas mit den USA – wenn wir ehrlich sind – doch tatsächlich der Gedanke, dass Trump mit seiner unmöglichen Art dem Herrscher im Kreml von der gleichen Art vielleicht einen Frieden würde abringen können. An diesem Gedanken stimmt nur der zweite Teil: die beiden sind aus demselben Holz geschnitzt.

Es geht ihnen nur um sich selbst, sie sind Machos, sie verachten Frauen und alle Personen darüber hinaus, die nicht klar ihrer binären Welt zuzuordnen sind. Macht ist das Einzige, was sie interessiert. Sie lieben es zu provozieren und jede Grenze zu überschreiten, des Anstands, der Wahrheit, einer regelbasierten Welt.

Beim Anhören der Rede von Donald Trump anlässlich seiner Inauguration im Januar habe ich noch gelacht. Weil er so dummes Zeug erzählt hat. Inzwischen ist mir das Lachen vergangen. Seit dem 20. Januar stehen wir am Morgen auf und die Nachrichten berichten uns, was Trump in der Nacht wieder Neues verkündet und verordnet hat. Und wir staunen täglich, wieso dies in einer Demokratie möglich ist. Die Gerichte kommen gar nicht nach mit der Überprüfung der Verfassungsrechtlichkeit der verabschiedeten Dekrete geschweige denn mit Urteilen. Und auch wenn Trumps Anweisungen im Nachhinein kassiert werden, der Schaden ist angerichtet, wenn Behörden aufgelöst, Gelder eingefroren, Daten gelöscht worden sind.

Wir erfahren gerade, was die sogenannte Pax Americana bedeutete: die Weltordnung seit dem Zweiten Weltkrieg mit den USA als Schutzmacht der westlichen, regelbasierten, demokratischen Länder. Trump interessiert das nicht. Er hat das russische Narrativ übernommen gegenüber der Ukraine, aus Wut darüber, dass Präsident Selenski ihm nicht sofort zu einem Fantasiepreis die Hälfte der Rohstoffvorkommen der Ukraine überschrieben hat: Selenski sei ein Diktator bei Beliebtheitswerten von 4%, er habe den Krieg angefangen, was eine schlechte Idee gewesen sei, er habe drei Jahre Zeit gehabt, diesen wieder zu beenden, er hätte ja einen Deal machen können.

Und Europa? Zerstrittene Regierungen, in Auflösung begriffen oder noch nicht geformt, eine neue Debattenkultur durch den Aufstieg rechtsextremer Parteien, zunehmend ist jede Regelüberschreitung erlaubt, Vernunft, das Bemühen um Redlichkeit und Wahrhaftigkeit bei der Darlegung der eigenen Position – geschenkt. Die Vorsicht der Formulierung, um niemandem zu nahe zu treten, das Abstandnehmen sogar davon, Demokratie als fortschrittliches und generell anzustrebendes Regierungssystem darzustellen, das Zaudern, Menschenrechte als universell zu bezeichnen, da kulturelle Unterschiede allenfalls nicht genügend berücksichtigt würden – dies wird von der zunehmenden Zahl von Autokraten auf dieser Welt als Verhalten von Weicheiern dargestellt, die nicht wissen, was Sache ist.

Nie hätte ich gedacht, dass ich das einmal erlebe. Mir wird dieser Tage noch mehr bewusst, in welch privilegierter Welt ich lebe. Ich weiss das schon lange, das ist auch der Grund für mein politisches Engagement. Was ich aber nicht wusste und nicht bereit bin zu akzeptieren, ist, dass die Demokratie mit allen Regeln, die ihr zugrunde liegen, dass Werte wie Toleranz und Menschlichkeit, Rücksicht auf Schwache und Respekt vor anders Denkenden gar keine erstrebenswerten Ziele sind, sondern mit Stiefeln getreten werden dürfen.

In der NZZ am Sonntag war vor zwei Tagen dieses Bild. Sagt es alles aus? Ist es einfach das, auf der Doppelseite imaginär ergänzt durch Trump und weitere Herrscher desselben Typus? Teilen sich die Macker dieser Welt einfach grad den Kuchen auf und wir schauen hilflos zu? Mit einer Haltung, an der jegliche Befreiungs- und Emanzipationsbewegungen spurlos vorbeigegangen sind bzw. die nur zur Gegenreaktion geführt haben?
Ich habe vor Jahren das Buch von J.D. Vance gelesen, Hillbilly Elegie, und habe das dargestellte nie mehr vergessen. Die Kränkung des – nicht nur weissen – Mannes, des Industriearbeiters durch die Deindustrialisierung und seine Unfähigkeit in der aufsteigenden Dienstleistungsgesellschaft einen neuen Platz zu finden und zusehen zu müssen, wie im Gegenzug die immer besser ausgebildeten Frauen im dritten Sektor aufsteigen und ein neues Selbstvertrauen gewinnen.

Geht es ganz einfach darum? Nicht um Rohstoffe, sondern um gekränkte männliche Eitelkeit? Verursacht sie das ganze Leid in der Ukraine, seit drei Jahren?

Einige haben immer noch die Hoffnung, dass Trump und seine Entourage in ihrem eigenen Chaos untergehen, dass die Kongresswahlen in zwei Jahren den Demokraten wieder die Mehrheit bringen und sich die Dinge dann schon bessern werden. Oder wieder gut werden? Wieder gut? Ich glaube, viel Schaden wird dann angerichtet sein und vor allem: kann die Ukraine so lange warten? Europa ist nun gefordert, aufzuwachen und die Ukraine militärisch und humanitär noch stärker zu unterstützen, die Lücke zu füllen, die Amerika offenbar entstehen lassen will.

Noch ist in den USA wenig Protest zu hören gegen das Wüten des neuen Präsidenten. So schnell werden die landesinternen Folgen von dessen Politik nicht spürbar werden. Man muss sich schon fast wünschen, dass Trump ernst macht mit den Schutzzöllen, Europa Gegenmassnahmen ergreift, die Preise in den USA steigen und die Lebenskosten dadurch auch – das Gegenteil dessen, was Trump im Wahlkampf versprochen hat und weswegen er gewählt wurde. DAS waren nämlich die Gründe, die Sorgen des Mittelstandes, deren Unzufriedenheit darüber, dass sich seit der Finanzkrise von 2008 ihre wirtschaftliche Situation nicht verbessert hat. Nicht eine Annäherung an Putin stand auf der Wunschliste, dass dies jetzt geschieht, scheint der amerikanischen Bevölkerung aber weitgehend egal zu sein.

Was für ein pessimistisches Grusswort! Das tut mir leid. Aber um optimistisch werden zu können, braucht es sichtbaren und mutigen Widerstand gegen diese alten und neuen Machodiktaturen und -regierungen. Von Seiten aller Frauen und Männer and everybody beyond, die immer noch an ein Miteinander und an Vernunft und Respekt voreinander glauben und in einer solchen Welt leben wollen. Dies zu sagen, sollte keinen Mut erfordern.

Bei der Eröffnung des Literaturfestivals im November letzten Jahres habe ich Constantin Seibt’s Ratschläge zitiert, wie wir mit der Wahl von Donald Trump umgehen sollen. Seibt schrieb unter anderem: «Seien Sie im Zweifel freundlich.» Diese einfache Satz geht mir seither nicht mehr aus dem Kopf. Ohne eine tief empfundene Menschlichkeit und den Willen, den eigenen Egoismus für ein wirksames Zusammengehen mit anderen Menschen zu überwinden, werden wir die Kraft nicht aufbringen, uns gegen all diejenigen zu wehren, die nur nach dem Recht des Stärkeren und dem Prinzip der Rücksichtslosigkeit leben.

Denselben Gedanken habe ich in Franziska Schutzbach’s neustem Buch, «Revolution der Verbundenheit» (2024) gefunden, und daraus möchte ich zum Schluss gerne zitieren:

«Die radikale Kritik des Bestehenden allein bewirkt keinen Wärmestrom und keine Hoffnung. Nur zu kritisieren, zu negieren ist deprimierend und niederschmetternd, es wiederholt jene Erfahrungen in unserer Gesellschaft, die ohnehin verbreitet sind: Ohnmacht, Mut- und Ratlosigkeit, Angst und Abscheu. Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir auch Zeit und Raum für Wärme, Emotionen, Fantasie und Enthusiasmus bereitstellen. Wir können unsere Kraft und Motive für Veränderung nicht nur aus der Einsicht beziehen, dass die Welt falsch ist.

Wir brauchen auch Ideen von einem besseren Leben, von guter Arbeit, von Teilhabe und Selbstbestimmung – und einem Stück Lebensglück. Nicht zuletzt brauchen wir Träume von erfüllenden Beziehungen zu anderen Menschen und Solidarität. Denn es sind auch die Wünsche nach Liebe, Freundschaft und Austausch, die uns befähigen, aufzustehen und uns gegen Herrschaftverhältnisse und Spaltung zu wehren.»

Dieser Abend will genau das: Der Ukraine unsere nicht nachlassende Solidarität und menschliche Verbundenheit aussprechen, der Ukraine, die seit drei Jahren für ihre Unabhängigkeit und für unsere gemeinsamen Werte kämpft.
Lassen wir dem Fatalismus keinen Raum, mehr denn je gilt:
«We stand with Ukraine.»
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Eva Herzog/25.2.2025