25. Oktober 2014: Festrede an der Diplomfeier Kulturmanagement der Universität Basel
Sehr geehrte Studienleitung
Liebe Diplomierte
Liebe Lisa, lieber Rolf
Meine sehr geehrten Damen und Herren
Am 28. August schrieb mir Frau Casagrande, die Verantwortliche für die berufsbegleitende Weiterbildung Kulturmanagement, ein Mail, das so gut war, dass ich heute hier vor Ihnen stehe! Sie köderte mich damit, dass ich in meiner Person diverse interessante Aspekte verbinden würde, mit denen Sie sich in den vergangenen zwei Jahren intensiv befasst haben: mit dem Veranstalten und Managen von Kultur, mit der Rolle, die Politik und Finanzen diesbezüglich spielen. Und dass ich zudem den Kurs, den Sie erfolgreich abgeschlossen haben, zumindest einmal angefangen habe zu besuchen…
Ein glänzende kommunikative Leistung, eine Marketing-Leistung erster Güte, Frau Casagrande hat mich perfekt abgeholt und hierher geholt.
Vielleicht täuscht mich die Erinnerung, aber ich meine, den allerersten Kurs des Kulturmanagements in Basel belegt zu haben. Zusammen mit etlichen Leuten aus Basel, die ich aus der Kulturszene kannte, und mit Leuten aus der ganzen Schweiz, die es spannend war kennenzulernen. Wir alle hatten praktische Erfahrung als Kulturveranstalterinnen und -veranstalter, was ich für unabdingbar halte, ich war neben dem Veranstalten von Frauenstadtrundgängen und anderen kürzeren Einsätzen vor allem vier Jahre in der Kaserne in Basel aktiv gewesen, als Programmverantwortliche für Lesungen und Diskussionen und andere Projekte und als Mitglied der Geschäftsleitung.
Damals, Ende der finanziell schwierigen 90er Jahre ging es darum, das Veranstalten im Kulturbereich zu professionalisieren, knappe Mittel zwangen zu deren effizientem Einsatz, Publika wollten beworben und in die Häuser geholt werden, und wir wollten den Geldfluss nicht ausschliesslich von Leuten steuern lassen, die von Kultur – in unseren Augen – keine Ahnung hatten. Wir wollten uns deren Wissen aneignen, wollten eigenes Know-how in Buchhaltung und Betriebswirtschaft, Recht und Marketing – Management eben, obwohl wir von unserer Haltung her ja wohl kaum der kapitalistischen Ecke zuzurechnen waren, wenn wir die alten Schwarz-Weiss-Bilder bemühen wollen …
Mir hat das Studium gefallen, es hielt, was es versprach, was die harten Skills anging. Bei den Diskussionen über Sinn und Zweck von Kultur hatten wir Studierende ganz unbescheiden vielleicht nicht immer das Gefühl, dass die Dozierenden mehr wussten als wir alle zusammen… Der Kontakt unter den Studierenden war extrem anregend – und obwohl ich im zweiten Semester aussteigen musste, ist die Verbindung zu den ehemaligen Mitstudierenden geblieben, etwas Spezielles verbindet uns.
«Seit zehn Jahren mache ich nun das, was ich – wie ich stets betonte – nie würde machen wollen: Finanzen und Personal. Und ich liebe es!»
Nun, eben, ich musste aussteigen. Als ich anfing, war ich in einer Phase der Neuorientierung, meine Stelle in der Kaserne hatte ich bei der von uns vorangetriebenen Reorganisation aus Überzeugung grosszügig weggekürzt (eine Haltung, die ich gerade auch in meinem jetzigen Umfeld noch nie angetroffen habe …), ich war im Verfassungsrat, hatte mein zweites Kind geboren, hatte keine feste Stelle – und wollte durch das Kulturmanagement meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Dann fand ich eine Teilzeitstelle an der Uni, wurde auch noch in den Grossen Rat gewählt – und ein Bandscheibenvorfall signalisierte, dass dies alles wohl zu viel war. Was aufgeben? Ich entschied mich für die Politik, im Nachhinein die richtige Entscheidung, damals pures Risiko.
Seit zehn Jahren mache ich nun das, was meine Kollegin in der engeren Geschäftsleitung der Kaserne machte und was ich – wie ich stets betonte – nie würde machen wollen: Finanzen und Personal.
Und ich liebe es!
Was aber ist heute mein Verhältnis zu Kultur? Ich bin einerseits Konsumentin, entscheide auch mit über eine gewisse Mittelverteilung und bin fest davon überzeugt, dass Kultur lebenswichtig ist. Nicht jede Form von Kultur und nicht jede Veranstaltung … Aber da erzähle ich Ihnen bestimmt nichts Neues, und das wissen wir alle auch nicht erst seit dem Buch von Pius Knüsel, mit dem er den Kulturbetrieb vor zwei Jahren aufmischte.
Der Kanton Basel-Stadt hat die um ein Vielfaches höchsten Kulturausgaben pro Kopf aller Kantone in der Schweiz, auch weil er ein Stadtkanton ist, aber nicht nur. Wir sind keine Neureichen in der Kultur, wir haben ein reiches traditionelles Erbe, auf das wir Acht geben müssen – und es auch tun. Aber wer entscheidet, was gefördert werden soll, wo Geld investiert werden soll? Was sind die Kriterien, woran misst sich Qualität?
Ich werde nicht in den Fehler verfallen, Ihnen hier Ratschläge zu erteilen, Sie wissen viel mehr als ich. Was ich weiss, ist, dass wir auch einige Millionen weniger ausgeben könnten, und die Welt würde nicht zusammenstürzen.
Aber auch, dass bei einem Kahlschlag, bei einer Reduktion aufs schweizerische Mittelmass, Basel nicht mehr dieselbe Stadt wäre und auch die Schweiz nichts davon hätte. Und die berühmte Kreativität, die aus der Knappheitentsteht, nun gut, alles hat seine Grenzen.
Wir sind verwöhnt durch ein überaus reichhaltiges kulturelles Angebot, das ist sicher so, aber wenn Kultur es schafft, uns geistige Nahrung zu geben, uns zum Nachdenken zu bringen, oder alle Sinne zum Schwingen, uns überraschende Erlebnisse zu bescheren, uns glücklich zu machen, wie kein Schwips es machen kann – dann hat sie jede Berechtigung. Kultur ist ein Film von Almodóvar an einem Sonntagnachmittag, nach dem ich lächelnd aus dem Kino komme und die ganze Welt umarmen könnte. Oder eine Ausstellung über den Ersten Weltkrieg, bei deren Vernissage ich spreche und zu deren Vorbereitung Reisen und Diskussionen mit meinen heranwachsenden Kindern gehören, die mich bereichern und mir neue Perspektiven geben.
«Wir sind verwöhnt durch ein überaus reichhaltiges kulturelles Angebot, das ist sicher so, aber wenn Kultur es schafft, uns geistige Nahrungzu geben, uns zum Nachdenken zu bringen, oder alle Sinne zum Schwingen, uns überraschende Erlebnisse zu bescheren, uns glücklich zu machen, wie kein Schwips es machen kann – dann hat sie jede Berechtigung.»
Kultur ist ein Abend in der Kaserne, die Premiere des diesjährigen Theaterfestivals, der Chor dieser Frauen aus Slowenien, ihr Gesang und ihre Schauspielkunst, untermalt von einem fantastischen Bühnenbild, das Erlebnis von etwas Neuem, Nahrung eben.
Kultur ist Frankenstein im Schauspielhaus, diese fantastische Kombination von Puppenspiel und echten Menschen, und das Miterleben, wie eine Frau eine Figur mit ihrer Stimme spielt. Kultur ist aber auch, mit meinem jüngeren Sohn eine Folge von «Doctor Who» zu schauen, mich über die Fantasie der Serie zu freuen und über die Gewissheit, dass immer alles gut kommt, wie schlimm die Monster auch sind, und mich dann beschwingt an den Computer zu setzen und die Rede für heute Nachmittag zu schreiben.
Was ich sagen will: Hochkultur oder – wie heisst das überhaupt? Tiefkultur ja wohl nicht! Neues, Innovatives, Grenzen Sprengendes, Alternatives oder auch Populäreres… Kultur ist für mich alles, was das Menschsein ausmacht, neben den Notwendigkeiten wie Essen, Trinken, Geldverdienen. Innovation in Industrie und Technik – halte ich in diesem Sinn genauso für eine kulturelle Leistung.
Ja, ja, ich weiss, der weite Kulturbegriff. Doch, ganz klar, sein Kern sollte sich auch im engeren Begriff finden lassen, in der Kunst, in der Kultur, die als Kultur in speziellen Institutionen gefördert wird. Kultur muss offen sein, gesellschaftliche Entwicklungen aufnehmen und sie selber vorantreiben, uns Menschen helfen, mit unserem Leben klarzukommen. Dazu gehört Pflege von Tradition, von traditionellen Ausdrucksformen, dazu gehört durchaus, dass man viel Geld dafür ausgibt. Aber Geld ist auch nicht der alleinige Gradmesser für wertvolle Kultur.
Als Kulturmanagerinnen und -manager ist es Ihre Aufgabe, möglichst viele Menschen für kulturelle Veranstaltungen zu begeistern – aber nicht alle für dasselbe, die Veranstaltung mit diesem breiten Publikum möchte ich nicht sehen! Die Bedürfnisse der Menschen sind unterschiedlich, sie verändern sich mit der Zeit – deshalb muss auch einmal etwas zu Ende gehen dürfen, wie man Häuser auch einmal abreissen darf. Stellen Sie sich vor, wie unsere Stadt aussehen würde, hätte man das nie getan.
Uns Schweizerinnen und Schweizern geht es sehr gut. Kaum ein Land in Europa hat ein Wohlstandsniveau wie wir. Da ist es nur fair, dass es auch der Kultur gut gegangen ist in den vergangenen Jahren – wer etwas anderes behauptet, hat nicht die Offenheit, die Kulturarbeit erfordert. Die Kulturbudgets sind gut dotiert, die Anzahl Kulturtäterinnen und -vermittler hat stetig zugenommen. Die kommenden Zeiten dürften schwieriger werden, aufgrund globaler Entwicklungen, die nicht vor der Schweiz haltmachen, aber auch dank hausgemachter Probleme, die aus der irrigen Haltung erwachsen, wir seien ein weltweiter Spezialfall und uns werde es immer gut gehen.
Wir sind zurzeit fleissig daran, unseren Wohlstand auf die Probe zu stellen. Auch die Kultur wird dies spüren, und ich erwarte von der Kultur, dass sie darüber nicht nur lamentiert, da Kultur nicht da ist, um sich einfach selber zu genügen, sondern dass sie ihre Stimme erhebt und die gesellschaftlichen Entwicklungen reflektiert und eine Rolle spielt – und dasssie uns Plattformen zur Verfügung stellt, die uns in diesen schwieriger einzuordnenden Zeiten helfen, uns zu orientieren.
Die Politik allein vermag das nicht, vermochte das nie. Innovation kommt nicht aus der Politik. Politik nimmt auf, was in der Gesellschaft heranwächst, sie sollte genauso offen sein für Veränderungen wie Kultur.
«Kultur muss offen sein, gesellschaftliche Entwicklungen aufnehmen und sie selber vorantreiben, uns Menschen helfen, mit unserem Leben klarzukommen.»
Studiengänge in Kulturmanagement entstanden Mitte der 70er Jahre in Wien, Mitte der 80er in Hamburg. Vor gut 15 Jahren sind wir hier in Basel gestartet, und es freut mich, dass Sie sich in der Auswahl eines berufsbegleitenden Masterprogramms für den Standort Basel entschieden haben. Ich hoffe, dass Sie in den vergangenen zwei Jahren nicht nur die Vorlesungssäle und Arbeitszimmer der Universität gesehen haben, sondern auch vom reichhaltigen Kulturangebot unserer Stadt profitieren konnten!
Der Boom der Kulturmanagement-Ausbildungsgänge geht, wie schon angetönt, mit dem Ruf nach Professionalisierung innerhalb des Kulturbetriebs einher.
Da Kultur aber in vielfältigen Austauschbeziehungen zu anderen gesellschaftlichen Bereichen steht – zu wirtschaftlichen, rechtlichen oder politischen beispielsweise –, ist die Definition dieser Professionalisierung keine einfache und muss von den Kulturschaffenden – und davon sind Sie Teil! – immer wieder neu gefunden werden. Als Kulturmanager fungieren Sie als wichtige Schnittstellen-Manager, als Mediatoren und Übersetzerinnen.
Wie es beim Übersetzen nicht darum geht, eine Ausgangssprache wortwörtlich in eine Zielsprache zu übertragen, sondern auch den Kontext des jeweiligen Zielpublikums zu berücksichtigen, geht es beim Managen von Kultur um eine hohe Sensibilität für die Akteure von Kulturproduktion und -rezeption und deren Kontext. Das ist der Sinn von Kulturmanagement-Ausbildungen, sonst könnte man ja einfach Juristinnen und Buchhalter anstellen, die dann versuchen, die Künstlerinnen und Künstler im Betrieb zu verstehen.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie das erlernte Handwerk für Ihre persönliche Leidenschaft im Bereich von Kultur und Kunst produktiv nutzen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und alles Gute für Ihre Zukunft und die Zukunft der Kultur.
25. Oktober 2014