16. September 2023, 13.30h, Lange Erlen
Lieber Andi
Liebe Vorstandsmitglieder
Liebe Genossenschafterinnen und Genossenschafter
Fünfzig Jahre Wohnstadt – Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Ich überbringe die Wünsche zu einer Zeit, in der auch in einer breiteren Öffentlichkeit sehr intensiv über Wohnen gesprochen wird: Wohnungsnot, steigende Energiepreise, steigende Mieten, steigende Krankenkassenprämien. Vielen Haushalte werden sich ab Herbst besorgt fragen, wie sie diese steigenden Kosten aus ihrem Haushaltsbudget bestreiten können.
Die Genossenschaften stehen als Garanten für günstigen Wohnraum und sind zum Glück schon lange aktiv. Und wollen weiter wachsen, die Sterne stehen nicht schlecht, auch Bundesrat Parmelin will jetzt mehr gemeinnützig erstellten Wohnraum, nun brauchen wir nur noch das Land und / oder die Immobilien!
Grad letzteres, dass nicht nur neu gebaut werden kann und soll, das stand schon ganz am Anfang der Geschichte von Wohnstadt und unterscheidet euch auch von anderen Genossenschaften, die oft ja gegründet wurden, um neue Überbauungen zu erstellen, wie zum Beispiel Wohnen und Mehr mit dem Westfeld, wofür die ansässigen Genossenschaften die Kapazitäten nicht hatten zu der Zeit.
Liest man die Geschichte von Wohnstadt, so mutet sie sehr aktuell an: Seit einem halben Jahrhundert konkretisiert Wohnstadt, was gerade auch heute politisch gefordert wird und was sich viele Menschen wünschen: Attraktives Wohnen, urban, nachhaltig und selbstbestimmt. Wohnstadt hat in den letzten Dekaden unter Beweis gestellt, dass man auch mit wenig Kapital viel hochwertigen und preisgünstigen Wohnraum schaffen kann.
Wohnstadt ist inzwischen einer der grossen «Player» im genossenschaftlichen Wohnungsbau in unserer Stadt und Region und wird heute von über 800 Genossenschafter:innen getragen, welche die Liegenschaften erst zu lebendigem Lebensraum machen. Neben der Notwendigkeit, günstig wohnen zu können, stand bei Wohnstadt der Mensch immer besonders im Mittelpunkt. Der Mitwirkung der Bewohner:innen wurde viel Gewicht beigemessen, was sich zu Beginn in der Gründung von Hausvereinen ausdrückte.
Ebenso charakterisierten Nachhaltigkeit und Innovation die Projekte von Wohnstadt von Anfang an, so die pionierhafte Umsetzung neuer Bautrends: Verdichtung, Holzelementbau, kontrollierte Wohnungslüftung, Grauwassernutzung und Energiemonitoring.
Und was ebenfalls sehr charakteristisch ist für Wohnstadt: ihr sitzt nicht auf eurer Expertise, sondern teilt sie mit anderen Akteuren, ebenfalls ein Wesensmerkmal, das ich selber sehr zu schätzen gelernt habe. Beratung anderer Genossenschaften ist ein ebenso wichtiger Pfeiler eures Wirkens wie selber bauen.
Natürlich gilt das auch für andere heute hier anwesend Vertretungen anderer Wohnbaugenossenschaften!
Wenn ich in die Gründungsgeschichte von Wohnstadt schaue, verstehe ich im Nachhinein auch die Diskussionen besser, die wir bezüglich Abbruch und Neubau hatten, ich erinnere ans Felix Platter-Spital. Die Wurzeln von Wohnstadt sind bei der sorgfältigen Renovation und Umnutzung zu suchen, bei der Pflege von Bausubstanz.
Heute sind die Zeiten von Ersatzneubauten als eine zeitlang DEM dominierendem Patentrezept vorbei, der grauen Energie wird mehr Beachtung geschenkt und auch für Verdichtung und zusätzlichen Wohnraum werden kreative Lösungen bei bestehenden Liegenschaften gesucht.
Ein beeindruckendes aktuelles Beispiel ist die Umnutzung des ehemaligen Pflegeheims Dominikhaus, wo äusserst attraktiver Wohnraum geschaffen wurde. Kreislaufwirtschaft und Upcycling sind in der Immobilienwirtschaft angekommen. Der Boden ist begrenzt, die starke Nachfrage nach preisgünstigem Wohnraum kann nicht ausschliesslich durch neu zu bebauende Areale gedeckt werden. So ist dies eine willkommene Ergänzung und es ist wichtig, dass die Förderinstrumente des gemeinnützigen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus auch für Liegenschaften im Bestand gelten.
Dies ist umso notwendiger als sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt markant zugespitzt hat: Sind die Bodenpreise aufgrund der Negativzinsen in den letzten Jahren stark angestiegen und mit ihnen auch die Mieten, so wird die Situation mit der gegenwärtigen Rückkehr der Inflation zusätzlich angeheizt.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat zu einer schlagartigen Erhöhung der Preise für Erdöl, Erdgas und Strom geführt. Die Baukosten sind gestiegen und die Bautätigkeit hat sich verlangsamt. Zusammen mit der steigenden Nachfrage nach Wohnraum durch Bevölkerungswachstum und zunehmenden Flächenverbrauch nimmt der Druck auf dem Wohnungsmarkt weiter zu und das Angebot ab.
Weitere Erhöhungen des Referenzzinssatzes und damit der Mieten stehen im Raum. Wohnen ist ein Grundbedürfnis und klar ist: der Markt wird es nicht richten! Staatliche Eingriffe zur Kostendämpfung sind notwendig, seien dies Vorgaben betreffend zulässiger Rendite, einem Vorkaufsrecht für Gemeinden oder weitere Fördertöpfe auch auf Bundesebene, damit gemeinnützige Bauträger angesichts der hohen Preise überhaupt in der Lage sind, Land zu erwerben und preisgünstigen Wohnraum zu erstellen.
Die Politik diskutiert auf allen Ebenen intensiv und als Präsidentin von Wohnbaugenossenschaften Schweiz werde ich versuchen, meinen Beitrag zu leisten – aufbauend auf dem grossen Erfahrungsschatz unserer Mitglieder.
Gerade die Geschichte von Wohnstadt zeigt: Die erfolgreiche Entwicklung von 600 Wohnungen in der Region war eng mit staatlichem Engagement verbunden.
In der Anfangsphase war es insbesondere das Wohn- und Eigentumsförderungsgesetz (WEG), ein Finanzierungsmodell des Bundes, welches Investitionen attraktiv machte. 2003 wurde die Instrumente des WEG abgelöst durch den Fonds de Roulement, aus dem bis heute verzinsliche Darlehen für gemeinnützige Wohnbauträger gesprochen werden. Diese müssen jedoch zurückgezahlt werden.
Deshalb braucht es zusätzlich ein staatliches Förderungsprogramm, das Städte und Gemeinden dabei unterstützt, Areale zu erwerben, welche sie dann an gemeinnützige Bauträger weitergeben können – an Wohngenossenschaften wie Wohnstadt, die seit 50 Jahren zeigen, wie nachhaltiges, ökonomisches und qualitativ hochstehendes Wohnen geht, bei dem der Mensch im Zentrum steht.
In diesem Sinne vielen Dank für euer Wirken, herzliche Gratulation zum Geburtstag und alles Gute für die nächsten 50 Jahre!
Eva Herzog
16.9.2023