Festakt
50 Jahre Verein Freunde des Klosters Mariastein
Samstag, 15. Juni 2024, in der Basilika von Mariastein
Rede Ständeratspräsidentin Eva Herzog
Sehr geehrter Herr Präsident (Glenn Steiger)
Sehr geehrte Mitglieder des Vereins Freunde des Klosters Mariastein
Lieber Abt Peter von Sury
Liebe Klostergemeinschaft
Meine Damen und Herren
Zwei Frauenfiguren grüssen uns von der klassizistischen Fassade der Basilika: Sie versinnbildlichen die Hoffnung und den Glauben. Betreten wir die Vorhalle zu dieser Basilika, grüsst uns ob dem inneren Eingang zur Kirche Maria als gekrönte Madonna. Hier im inneren Raum begegnen wir Scholastika, Gertrud, Katharina von Siena, Theresa von Avila, auf dem Weg in die Felsengrotte Elisabeth von Thüringen und natürlich wieder Maria.
Lauter Frauenfiguren. Habe ich mich verirrt? Bin ich in einem Frauenkloster gelandet, etwa bei den Benediktinerinnen von Mariastein? Ein schöner Gedanke!
Auf vierhundert Jahren Benediktiner folgen nun 400 Jahre Benediktinerinnen? Oder haben die Frauen einfach schon immer eine wichtige Rolle gespielt, auch in der katholischen Kirche? Und was ist ihre Rolle in der Zukunft?
Unser junggebliebener Jubilar – 50 Lenze sind es – ist sicher bereit, darüber nachzudenken. Ihm liegen Gegenwart und Zukunft des Klosters Mariastein am Herzen – und ist diese ohne die Frauen denkbar?
Als der Verein vor 50 Jahren gegründet wurde, kamen die Mariasteiner Mönche eben aus ihrem Exil und aus den verschiedenen Wirkungsstätten zurück nach Mariastein. Sie fanden eine arg heruntergekommene Anlage vor und machten sich beherzt an die Arbeit: Aufbruch und Wiederaufbau.
Sie waren klug und erkannten, dass diese gewaltige Aufgabe ohne Hilfe von externen Fachpersonen nicht zu bewältigen war – von Männern und Frauen, die sie ideell und finanziell unterstützen.
50 Jahre später ist die Situation nicht einfacher geworden, ganz im Gegenteil: Die Verantwortung für dieses religiöse und kulturelle Erbe ist für die geschrumpfte Zahl an Konventualen, von denen die allermeisten weit über das allgemein gültige Pensionsalter hinaus sind, eher eine Last geworden. Dem haben sie sich gestellt und über die Zukunft von Mariastein nachgedacht. Im Jahr 2019 haben sie deshalb das Projekt «Aufbruch ins Weite – Mariastein 2025» ins Leben gerufen.
Als ich 2019 angefragt wurde, ob ich im Patronatskomitee für dieses Projekt mitmachen würde, hatte ich auch gute persönliche Gründe, «Ja» zu sagen. Mariastein kenne ich seit meiner Kindheit. Meine Mutter stammt aus Metzerlen, dem schönst gelegenen Dorf – zumindest der Schweiz, hier habe ich meine Sommerferien verbracht, meine vielen Cousinen und Cousins und deren Kinder wohnen in grosser Zahl hier. Wird es für mich einmal zu eng oder zu bunt in Basel – Bern nicht ausgenommen – fahre ich mit dem Velo durchs Leimental hinauf auf diese Jura-Anhöhe: Weite, Luft und Himmel – das regt an, das spornt an, das befreit und beflügelt – oder lässt Ärger vergessen.
Ich habe über all die Jahre immer wieder festgestellt, wie viel Mariastein so vielen Menschen aus nah und fern bedeutet. Umso mehr möchte ich, dass Mariastein eine Zukunft hat und zwar umfassend: Wallfahrt und Seelsorge, Kultur und Infrastruktur, als Kraftort und Ort der Erholung.
Was heute ein Kulturgut der Nordwestschweiz ist – nämlich Mariastein als ein Ensemble mit Klosteranlage, Basilika, Felsengrotte, dem Gebäude am Platz, dem Klostergarten, der Weite des Annafeldes und der Anna-Kapelle – ist das Ergebnis eines kreativen Zusammenspiels zwischen den Benediktinern und der Zivilgesellschaft. Nun gilt es dieses Zusammenspiel – unter veränderten Rahmenbedingungen – neu auszuhandeln und festzulegen.
Für einige der Mönche mag diese Entwicklung einhergehen mit Sorge und Angst vor Veränderungen. Für die Zivilgesellschaft ist es eine Verpflichtung, die über ein Lippenbekenntnis hinaus gehen muss. Denn was sind die Alternativen, wenn nichts geschieht?
Für den Verein der Freunde ist es eine grosse Chance, aktiv an dieser Zukunftsgestaltung mitzuwirken, selbstbewusst und aus den Erfahrungen der letzten 50 Jahre schöpfend – als «verlängerter Arm des Klosters zur Zivilgesellschaft», wie der Präsident Glenn Steiger im Jubiläumsbuch schreibt.
Die religiöse Landschaft in der Schweiz hat sich in wenigen Jahren komplett verändert, meine Damen und Herren. Gemäss neusten Zahlen des Bundesamts für Statistik machen die Konfessionslosen mit 33,5 Prozent erstmals die grösste Bevölkerungsgruppe aus. Jahrzehntelang waren dies, auch dank der Einwanderung, die Katholikinnen und Katholiken. Die christlichen Konfessionen kommen auch gemeinsam nicht mehr auf 50 Prozent der Bevölkerung.
Sich zum christlichen Glauben zu bekennen, sei heute tabuisiert, sagte kürzlich der abtretende Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist. Und in der «NZZ am Sonntag» stand, das Wort «Gott» gehe heute vielen Menschen nicht mehr leicht über die Lippen.
Was bedeutet das für die Kirchen in der Schweiz, für das Verhältnis zwischen Staat und Kirche? Und was bedeutet das für die christlichen Werte, welche das Fundament unserer Kultur und unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens bilden? Haben wir es mit einer Erosion der Institutionen zu tun oder auch mit einer solchen der Werte? Gehen Werte wie Nächstenliebe, Demut, Toleranz oder Respekt vor der Schöpfung in moderner Beliebigkeit unter? Und wo suchen die Menschen die Antworten auf die grundsätzlichen Fragen des Lebens?
Wenn man sich umhört, dann sind Rituale gefragt wie eh und je. Ich kenne verschiedene Menschen, die Rituale anbieten für Heiraten, Taufen und Begräbnisse – diese sind aber nicht religiös geprägt.
Können sich die Kirchen so weit reformieren, damit sie wieder mehr Menschen von heute ansprechen? Denn Menschen möchten mit den grossen Fragen des Lebens nicht allein gelassen werden.
Zusammen mit dem Nationalratspräsidenten war ich als Präsidentin des Ständerates am 6. Mai bei der Vereidigung der Schweizer Garde in Rom dabei; gemeinsam mit einer Delegation des diesjährigem Gastkantons Kantons Basel-Landschaft sowie der Bundespräsidentin und anderen Gästen.
Es war eine prägende Erfahrung als Historikerin in diesen prunkvollen und kunsthistorisch einzigartigen Räumen Zeugin eines historischen Rituals zu sein: Der Vereidigung junger Männer beizuwohnen, die sich heute 500 Jahre nach Gründung der Schweizer Garde, voll und ganz der Aufgabe hingeben wollen, den Papst und seine legitimen Nachfolger notfalls mit ihrem Leben zu schützen. Zuvor besuchten wir im Petersdom die Messe – einem Dom, der an Grösse und Ausstattung seinesgleichen sucht.
Ein faszinierendes Ritual, fraglos. Aber ist es in die Zukunft gerichtet?
Mit Verlaub, geschätzte Damen und Herren: Solange die volle Teilhabe der Frauen in allen Diensten und Ämtern in der katholischen Kirche nicht selbstverständlich umgesetzt ist, haben wir es mit einer defizitären Kirche zu tun. Ohne die tatkräftige Unterstützung der Frauen, wäre die katholische Kirche schon heute nicht mehr lebensfähig.
Warten Sie nicht, bis die Frauen streiken! Einen Tag lang haben sie es schon einmal getan. Ich habe damals mit den Powerfrauen des katholischen Frauenbundes am ersten Frauenstreik teilgenommen. Lange wird deren Geduld nicht mehr währen...
Meine Damen und Herren
In wenigen Stunden beginnt auf dem Bürgenstock eine hochrangig besetzte Konferenz zum Frieden in der Ukraine. Die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg erarbeitete und hochgehaltene Friedensdividende ist – so der deutsche Bundespräsident Steinmeier – aufgezehrt. Das sind keine guten Nachrichten, aber die Augen davor zu verschliessen, macht keinen Sinn. Sich wehrhaft zu zeigen und gleichzeitig alles zu tun, damit der Krieg in der Ukraine beendet wird, scheint unsere neue Realität zu sein.
Es ist eine Ehre für die Schweiz, dass Präsident Selensky uns gebeten hat, diese Friedenskonferenz auszurichten. Natürlich wird sie nicht sogleich Frieden bringen. Aber jedes Gespräch über Frieden ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Davon hat mich auch mein Besuch beim UNO-Sicherheitsrat in New York überzeugt. Es bring nichts, die abnehmende Wirkung von multinationalen Institutionen zu bejammern oder diese schlecht zu reden. Man muss das Gespräch immer wieder suchen, unermüdlich. Was ist denn die Alternative?
In New York sah ich, dass die Schweiz mit ihrer humanitären Tradition in den zwei Jahren ihrer Mitgliedschaft eine wichtige und allseits anerkannte, friedensfördernde Wirkung erzielt und dass wir wesentlich daran beteiligt waren, einige wichtige Resolutionen zur Beendigung der Konflikte in der Ukraine oder im Gaza-Streifen durchzubekommen.
Zu den «Plattformen» für den Frieden gehören auch Orte wie Mariastein. Mariastein hat eine lange Tradition als Ort, wo für den Frieden gebetet wird. Ich erinnere Sie an die Gelöbniswallfahrt der Bezirke Thierstein und Dorneck, die 1940 kurz nach dem Ausbruch des 2. Weltkrieges begann und dieses Jahr, am 7. September, zum 85. Mal durchgeführt wird.
All diese Bemühungen für den Frieden sind wertvoll. Gewiss, es sind kleine Schritte. Aber sie nicht zu tun, es nicht zu versuchen, wäre eine Bankrotterklärung. Alle Menschen, «die guten Willens sind» – wenn ich mir als Politikerin erlauben darf, dies in dieser wunderschönen Basilika so auszudrücken, sind aufgefordert, alles in ihrer Macht stehende für den Frieden zu tun.
«still und stark» heisst das Buch über die heiligen Frauen von Mariastein, von denen ich zu Beginn meiner Rede einige erwähnt habe. Das Buch ist 2003 im Limmat Verlag vom Verein Frauenstadtrundgang Basel herausgegeben worden.
Ich habe auch einmal ein Jahr für diesen Verein gearbeitet und habe dort viele starke junge Frauen kennengelernt – gerade auch die Theologinnen, die diese Schrift verfasst haben. Im nächsten Jahr soll dieses vergriffene Werk in der Reihe der Mariasteiner Schriften neu aufgelegt werden, was mich sehr freut. Gerne sehe ich darin ein Zeugnis davon, dass der Sichtweise von Frauen in der katholischen Kirche zunehmend der Platz eingeräumt wird, der ihnen gebührt.
Liebe Freundinnen und Freunde von Mariastein
Ich gratuliere Ihnen, liebe Mitglieder des Vereins, zu Ihrem runden Geburtstag. Hinter diesen 50 Jahren steht die grosse Leistung von vielen, vielen Menschen auf beiden Seiten der Jurakette, die zu «ihrem» Kloster gestanden sind und weiterhin stehen. Ich wünsche Ihnen von Herzen für Ihr weiteres Wirken gutes Gelingen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
EH/13. Juni 2024