Rückblick - Frühjahrssession 2023

Von einer Revolution im Sexualstrafrecht, von leeren Versprechen der Mitte beim Ausgleich der Teuerung, von Wohnungsnot und den Aktivitäten von Wohnbaugenossenschaften Schweiz, von zu hohen Prämienzahlungen durch Basel-Stadt über ein Postulat zur Prüfung der Auswirkungen der Unternehmenssteuerreformen auf das AHV-Beitragssubstrat – zur Aussicht auf mein Ständeratspräsidium im 2024 im Dienste der Bedeutung der Städte.

Die überparteiliche Zusammenarbeit der Frauen in National- und Ständerat, die ich schon oft beschrieben habe, hat auch in der Frühjahrssession 2023 Früchte getragen.

Wichtigstes Geschäft war die Revision des Sexualstrafrechts (18.043). Der Kompromiss, den beide Räte hier gefunden haben, kommt dem vom Nationalrat geforderten «Nur Ja heisst Ja» so nahe, dass wir mehr als zufrieden sein können – die Reform ist eine eigentliche Revolution. Indem der Tatbestand des «Freezing» aufgenommen wird, wird akzeptiert, dass man sich nicht wehren muss als Opfer, weil man sich nicht wehren kann (Zustand des Freezing). Dies ändert die Befragung nach einer Straftat: Es geht nicht mehr darum, ob sich das Opfer gewehrt hat, sondern ob der sexuelle Akt einvernehmlich war – das ist ganz nahe bei «Nur Ja heisst Ja».

 

Erfolgreich waren auch die Motionen Funiciello und de Quattro zur Einführung von Krisenzentren gegen Gewalt (22.3333 und 22.3334). Ebenso erfreulich, die Überweisung des Postulats der WBK-S im Bereich Gendermedizin (22.3869) und zugunsten der Endometriose (23.3009), einer bisher vernachlässigten Frauenkrankheit.

 

Wie es herauskommt, wenn wir Frauen uns nicht einigen können, hat hingegen die Bereinigung der BVG-Revision gezeigt (20.089). Ich bedaure es sehr, dass kein Vorschlag zustandegekommen ist, dem auf der linken Seite ohne Vorbehalt zugestimmt werden kann. Zu wichtig ist die Vorlage für uns Frauen, Verbesserungen waren uns versprochen worden nach der Erhöhung des Rentenalters für Frauen bei der AHV. Zu wichtig ist die Vorlage vor allem für Menschen mit Teilzeitpensen und tiefen Einkommen, mehrheitlich Frauen, die sich bis jetzt nicht versichern lassen konnten. Hier wurde ein Schritt gemacht, indem die Eintrittsschwelle gesenkt wurde und der Koordinationsabzug neu 20 Prozent des AHV-Lohnes beträgt, d.h.. 80 Prozent des AHV-Lohns ist versichert. Aber die Kompensationen für die Übergangszeit sind zu schwach. Eine weitere wichtige Forderung, ein Obligatorium für Menschen mit mehreren kleinen Pensen, ebenfalls mehrheitlich Frauen, setzte sich auch nicht durch, es bleibt bei Freiwilligkeit – man muss also einen Pensionskasse finden, welche dies anbietet. Indem der sozialpartnerschaftliche Kompromiss, den der Bundesrat und die SP von Anfang an unterstützten, von der bürgerlichen Seite leichtfertig über Bord geworfen wurde, liess sich auch mit viel Gezerre kein guter Kompromiss mehr finden.

Die ist ärgerlich für uns Frauen, aber auch für Kulturschaffende, welche in wechselnden oder mehreren kleinen Pensen arbeiten, auch sie hatten sich von der Reform Verbesserungen erhofft.

 

Viel war gegen Ende des letzten Jahres von Teuerung und Kaufkraftverlust die Rede – die Mitte wollte mit uns zusammen dagegen angehen, wenig blieb davon übrig, als es zur Sache ging. Gemäss Mischindex hat der Bundesrat einen Ausgleich von 2.5% beschlossen, im Dezember hatten wir zusammen mit der Mitte Vorstösse eingereicht in beiden Räten, welche einen Ausgleich der ganzen Teuerung verlangten, zu beschliessen wäre ein Ausgleich von insgesamt 2.8% gewesen. Doch entgegen ihren Zusagen machte die Mitte am Ende nicht mit und so scheiterte die Vorlage äusserst knapp - dies obwohl der Bundesrat ein gut umsetzbare Lösung gefunden hatte (23.016). Ein Ausgleich von 0.3% mag nicht nach viel aussehen, für Menschen mit tiefen Einkommen macht dies gleichwohl einen Unterschied.

 

Ein weiteres Thema, das alle Medien dominierte war die Wohnungsnot. Dazu gab es auch im Ständerat eine Vielzahl von Vorstössen (22.4125, 22.4289, 22.4290, 22.4323). Überwiesen wurden nur Vorstösse, welche Berichte verlangen. Eine Motion von SR Stefan Engler (22.4448), welche im Hinblick auf eine allfällig Erhöhung des Referenzzinssatzes auf über 2 Prozent eine Regelung zur zulässigen Nettorendite für Wohn- und Geschäftsliegenschaften verlangte, wurde auf meinen Antrag hin an die zuständige Kommission überwiesen.

 

Passend dazu hatte der Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz, dessen Präsidium ich innehabe, am Dienstag, 14. März 2023 dazu einen Anlass organisiert, der in der Presse gut rezipiert wurde.  

Das Thema wird uns erhalten bleiben. Was sind die Gründe für die Wohnungsnot? Genannt werden die Zuwanderung – und die SVP wittert bereits ein geeignetes Thema für den Wahlkampf im Herbst. Was sie verschweigt: dahinter steht der Fachkräftemangel, wir brauchen die Zuwanderung, in der Schweiz herrscht im Moment quasi Vollbeschäftigung. Ein weiterer Grund ist die Zunahme an Ein- und Zweipersonenhaushalten aufgrund demographischer Entwicklungen (Alterung der Bevölkerung, Patchworkfamilien etc.) wie auch generell die Beanspruchung von mehr Wohnraum pro Person. Notwendig ist damit Verdichtung und das Angebot von günstigem Wohnraum – wie ihn an erster Stelle Genossenschaften zur Verfügung stellen. (Interview in der Sonntagszeitung)

 

Auch regionale Interessen galt es zu vertreten in dieser Session: zum einen die Forderung, dass zu hohe Reserven der Krankenkassen zurückerstattet werden sollten und zwar nach Kantonen, nach pro Kanton zuviel bezahlten Prämien. Dazu lag eine Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt vor (22.316), wie auch weitere Vorstösse (20.463 und 20.4123), die aber allesamt chancenlos blieben (Video zum Votum).

 

Mehr Erfolg war meinem Postulat beschieden, das Zahlen verlangt zur Prüfung der Auswirkungen der Unternehmenssteuerreformen auf das AHV-Beitragssubstrat (22.4450 ). Die mit der Unternehmenssteuerreform II eingeführte reduzierte Besteuerung von Dividenden bei einer Mindestbeteiligung von 10% an einem Unternehmen hat dazu geführt, dass gut verdienende Selbständige (Ärzte, Anwälte) eine Umwandlung in eine AG oder GmbH vornehmen und sich weniger Lohn und dafür mehr Dividenden ausbezahlen. Das kann zu Steuerersparnissen führen, führt aber vor allem auch dazu, dass der AHV bedeutende Einnahmen entgehen, da Dividenzahlungen von Sozialabgaben befreit sind. Der Bundesrat war bereit, das Postulat entgegenzunehmen und der Ständerat hat es überwiesen. (Video zum Votum)

 

Ja, und dann sass ich schon ein paarmal «auf dem Bock», d.h. als Vizepräsidentin des Ständerats ich habe die jetzige Präsidentin Brigitte Häberli-Koller vertreten, um mich auf meine Aufgabe als Ständeratspräsidentin vorbereiten, ein Amt das ich im Jahr 2024 übernehmen werde im Falle einer erfolgreichen Wiederwahl im Herbst 2023.

 

Ich habe mich gerne für dieses Amt zur Verfügung gestellt. Ich möchte dies nutzen, um die Bedeutung und die Anliegen der Städte in unserem Land stärker in den Vordergrund zu rücken. In Diskussion ist die Gründung einer parlamentarischen Gruppe «Stadt», eine Städteallianz für Europa, ein Haus der Städte – dies alles in Absprache mit dem Schweizerischen Städteverband, der seit Jahren wertvolle Arbeit leistet für die Interessen der Städte. 75% der Bevölkerung der Schweiz lebt schon heute in urbanen Regionen, dort werden 84% der Wirtschaftsleistung unseres Landes erbracht – im Interesse und zugunsten der ganzen Schweiz. Die Städte waren und sind die Innovationsmotoren unseres Landes, die Orte nicht nur von wirtschaftlichem, sondern auch gesellschaftlichem Fortschritt. Trotzdem dominiert in unserem Land das Narrativ einer ländlich geprägten Schweiz, das mit der gelebten Realität nicht übereinstimmt. Ich will keinen Graben zwischen Stadt und Land aufreissen, aber ich plädiere für eine stärkere Wertschätzung der städtischen Realität, der Leistungen wie der Probleme der Städte und Agglomerationen, in der die Mehrheit der Menschen in diesem Land lebt. Nur mit einer solchen ganzheitlichen Sicht kann es gelingen, adäquate Antworten zu finden auf die wesentlichen Fragen unseres Zeit.