Rückblick - Frühjahrssession 2022

Das dominierende Thema: der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine

 

Am Donnerstag, 24. Februar, vier Tage vor Beginn der Frühjahrssession der Eidgenössischen Räte, startete der russische Präsident Putin den Einmarsch in die Ukraine, in ein unabhängiges, demokratisches, europäisches Land.
Seither ist nichts mehr, wie es war.
Tags darauf verkündete der Bundesrat, dass die Schweiz die von der EU umgehend verhängten Sanktionen nicht übernehmen, aber dafür sorgen würde, dass diese nicht über unser Land umgangen werden könnten. Dank einhelliger Empörung im In- und Ausland, Demonstrationen, Bestrebungen im Parlament, den Bundesrat durch eine Erklärung umzustimmen, besann sich die Exekutive eines Besseren und beschloss am Montag, 28. Februar, dem ersten Tag der Frühjahrssession, die Sanktionen der EU zu übernehmen.

Die verheerende Aggression Russlands in der Ukraine und der tapfere und bewunderungswürdige Widerstand der Ukrainerinnen und Ukrainer, mit dem Putin so nicht gerechnet hat, hat die Frühjahrssession dominiert und fast alles andere als unbedeutend erscheinen lassen. In beiden Räten gab es mehrere Debatten, eine Erklärung wurde verabschiedet, der letzte Versuch der SVP, den temporären Einsitz der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat zu verhindern, war davon geprägt und mittels dringlicher Interpellationen wurde über Sicherheitspolitik, Energiepolitik, Nahrungsmittelversorgung und Europapolitik gesprochen - über die Bedeutung der russischen Aggression für die westliche Welt und Europa, und mitten in Europa gelegen, für die Schweiz.

Ziel von links-grün in diesen Debatten war es, nicht einfach über eine Aufrüstung der Schweizer Armee zu sprechen und über eine Erhöhung des Militärbudgets, mit einer an die Zeit des Zweiten Weltkriegs erinnernden Rhetorik (Reduitdiskurs), sondern die Vernetzung der Schweiz mit Europa in den Vordergrund zu stellen. Sicherheitspolitik, Energiepolitik, Wirtschaftspolitik: Dieser Krieg eines Aggressors, der sich an keine gesamtgesellschaftlichen Regeln hält, sich über Völkerrecht hinwegsetzt, von dessen Rohstoffen der Westen jedoch abhängig ist, zeigt, dass wir die Energiewende noch schneller vorantreiben und uns aus dieser Abhängigkeit befreien müssen. Es gelingt nur in Zusammenarbeit und mit geregelten Beziehungen zur Europäischen Union (Link zum Votum). Nach anfänglicher Lähmung und Hilflosigkeit im Parlament, unterbrochen von schrillen Rufen von rechts, waren gegen Ende der Session zunehmend konstruktive Stimmen in dieser Richtung zu vernehmen.

Eine grosszügige Aufnahme von Flüchtlingen, höheres Tempo bei der Energiewende und nicht zu vergessen, die Reform der Altersvorsorge – dafür braucht es finanzielle Mittel.

Unverständlich ist deshalb der Entscheid des Bundesrats, wie mit der coronabedingten Verschuldung umzugehen ist. Vergangenen Freitag verabschiedete er die entsprechende Botschaft zum Abbau der Coronaschulden: (Link zur  Botschaft)


Dass der Bundesrat die Variante wählte, welche den gänzlichen Abbau der durch Corona entstandenen Verschuldung verlangt, statt die Hälfte mit den in den letzten Jahren angehäuften Überschüssen zu verrechnen, darf mit Fug und Recht als kurzsichtig und als eigentliche Provokation bezeichnet werden. Eine klare Mehrheit der Vernahmlassungsteilnehmenden, die Mehrheit der Kantone und alle Parteien bis auf die SVP sprachen sich für die mildere Variante aus, SP, Grüne und GLP gar für eine vollständige Verrechnung der Coronaschulden. Gemäss Vorschlag des Bundesrates werden während 11 – 13 Jahren Schulden abgebaut, es besteht keinerlei Handlungsspielraum für neue Aufgaben, dies mit dem Argument, wir hätten anschliessend wieder einen gesunden Haushalt und seien so in der Lage, die kommenden Herausforderungen wie die Bekämpfung des Klimawandels oder die Reform der Altersvorsorge oder die steigenden Gesundheitskosten bei einer alternden Bevölkerung zu bewältigen.

Wie bitte? Wir sollen 11 – 13 Jahre warten, bis wir diese Aufgaben anpacken? Das muss jetzt geschehen, die Energiewende hat durch den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine eine noch grössere Dringlichkeit gewonnen. Angezeigt wäre ein gänzliches Embargo ab sofort, um dadurch den Krieg nicht mitzufinanzieren. Aufgrund der im internationalen Vergleich rekordtiefen Schulden der Schweiz wäre überhaupt kein Schuldenabbau notwendig. Die Schuldenbremse hat seit ihrer Einführung zu einem massiven Schuldenabbau geführt, wir haben Überschüsse angehäuft, genau zum Zweck, eine Krise wie die Coronapandemie finanzieren zu können. Der Bundesrat verpasst es mit solchen Entscheiden, sich als weitsichtige Behörde zu profilieren, wie schon beim Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU, wodurch unter anderem für die nächsten Jahre die Teilnahme am weltweit grössten Forschungsprogramm (Horizon Europe) vereitelt wird, wenn nicht noch ein Wunder geschieht.

Nun aber in aller Kürze noch zu einigen Geschäften der Session:

Ohne Gegenantrag wurde die Motion von Marianne Maret überwiesen, welche Präventionskampagnen gegen Gewalt fordert (21.4418). Wiederum eine Aktion von uns 13 Ständerätinnen, in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Frauen im Nationalrat verschiedener Parteien, wo gleichentags zwei Motionen überwiesen wurden.

In der Wintersession 2021 hatte der SR beim Gentechnikgesetz (21.049) äusserst knapp eine Differenz zum Nationalrat geschaffen, indem die neuen Methoden der Gentechnologie wie zum Beispiel Crispr/Cas vom Gentechmoratorium ausgenommen und separat geregelt werden sollten. Damit soll das Potential dieser neuen Technologien für die Landwirtschaft (Verbrauch von weniger Pestiziden) und für das Klima genutzt werden können (Link zum Votum). Der Nationalrat nahm in der Folge in der Frühjahrssession einen Kompromiss seiner WBK-N an, welcher bis Ende 2024 einen eigenen Erlass verlangt für die Anwendung dieser neuen Methoden. Damit kommen nicht von heute auf morgen neue Sorten auf den Markt, aber die totale Blockade gegenüber diesen Neuerungen wurde aufgeweicht.

Mit der Überweisung der Motion der FK-S zur Durchführung der SBB-Investitionen (22.3008) haben wir ein klares Zeichen gesetzt, dass es keine Verzögerungen gibt bei den geplanten Investitionen der SBB, ein klares Zeichen gegen die kurzsichtigen und kontraproduktiven Sparmassnahmen, welche der Bundesrat der SBB auferlegt hat, obwohl sie auf Corona zurückzuführen sind (Link zum Votum).

Chancenlos und mit Überzeugung habe ich die Minderheit verteidigt bei der Standesinitiative des Kantons Jura «Internetgiganten sind zu besteuern» (21.306), da ich der Ansicht bin, dass es gut wäre, mit dieser Initiative ein parlamentarisches Mittel in der Hand zu haben, um Techkonzerne zu besteuern, falls Säule I der OECD-Steuerreform nicht realisiert werden sollte (link auf mein Votum). Chancenlos, aber wichtig. Dieselbe Diskussion werden wir dann nochmal führen anhand der Motion Levrat, welche ich übernommen habe (Vorbereitung der Einführung einer Digitalsteuer, 20.4575).

Für die Region Basel:

Mit der Antwort des Bundesrates auf meine Interpellation zur Wiesentalbahn (21.4352) konnte ich mich nicht befriedigt erklären, da der Bundesrat sich nicht an allfälligen Mehrkosten einer Tieferlegung der Strecke beteiligen will, was er andernorts getan hat. Immerhin ist es erfreulich, dass er bereit ist, gemeinsam mit dem Kanton Basel-Stadt und Riehen zu prüfen, welche Varianten zur jetzt geplanten noch möglich wären (Link zum Votum).

Mit Freude habe ich zur Kenntnis genommen, dass der Nationalrat meine Motion zur Garantie des Grenzverkehrs auch in Pandemiezeiten (21.3698) ebenfalls angenommen hat. Deshalb war es in Ordnung, der enger gefassten Standesinitiative von Basel-Stadt (21.314) keine Folge zu geben.

Eine Enttäuschung war hingegen die Ablehnung der Motion von Alt-Nationalrat Christoph Eymann, mit der dieser ein Forschungsprogramm für Alzheimerkrankheit forderte (Link zum Votum). Nach klarer Überweisung im NR ist es rätselhaft für mich, warum die bürgerlichen Parteien den Vorstoss im SR abgelehnt haben. Damit ist er vom Tisch. Es ist zu hoffen, dass bei der Eingabe von Nationalen Forschungsprogrammen bis Ende März von Forscherseite und Interessensverbänden noch entsprechende Eingaben erfolgen.

23. März 2022