Rückblick - Herbstsession 2023

Bis auf die Enthüllung von "Tilo" eine verpasste Chance anlässlich des Jubiläums 175 Jahre Bundesstaat, Torpedierung von Massnahmen zur Bekämpfung der Wohnungsnot, ergebnislose und populistische Asyldebatte, Kontroverse um die Finanzierung von Nationalstrassen, Verabschiedung des Mantelerlasses für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien und Regelung der Gesetzgebung betreffend Ausübung eines politischen Mandates bei Mutterschaft – zaghafte Lichtblicke, weiterhin unbefriedigendes Lavieren in der Aussenpolitik und dann beginnt sich das Personenkarussel betreffend Nachfolge Bundesrat Berset zu drehen, und wir Basler:innen hoffen einmal mehr!

Wenn ich die Berichterstattung in den Medien lese, ihr Fazit über die zu Ende gegangene Session und die ganze Legislatur so stimme ich mit vielem überein: es war eine Legislatur der Krisen, angefangen mit Corona, dann der schreckliche Krieg in der Ukraine, der bis heute andauert, die unmittelbar drohende Energieknappheit, der Untergang der CS – und dazu das weiterhin nicht geregelte Verhältnis zu Europa und die immer deutlicher werdende Klimaerwärmung mit ihren bedrohlichen Folgen. Ich wäre dann manchmal auch gerne Journalistin und würde munter draufloshauen auf Bundesrat und Parlament und selber wüsste ich ja immer alles besser… Auch ich kritisiere den Bundesrat, ich verstehe seine Mutlosigkeit in der Aussenpolitik nicht, verstehe nicht, warum jegliches Geschichtsverständnis betreffend Auslegung der Neutralität fehlt: dieses Konzept dient dem Schutz unseres Landes, seiner Sicherheit und muss und darf entsprechend der jeweiligen Zeit definiert und angepasst werden, nur so dient es wirklich unseren Interessen. Rote Linien und heilige Kühe befriedigen immer nur Partikularinteressen, das zeigt die Debatte um die Verhandlungen für ein Rahmenabkommen mit der EU seit Jahren in aller Deutlichkeit. Dass diese Legislatur zu Ende geht, ohne dass der Bundesrat ein Verhandlungsmandat verabschiedet hat für ein neues Rahmenabkommen mit der EU, neu nun in Form des von beiden Seiten offenbar akzeptierten Paketansatzes, ist ganz einfach ein Trauerspiel und hat bereits Folgen: der Ausschluss bei Horizon Europe, dem grössten Forschungsprogramm der Welt. Dies bedroht die internationale Bedeutung unseres Forschungsplatzes, schliesst eine ganze Generation von Schweizer Forschenden von den weltweit besten Programmen aus – ausser sie gehen an ausländische Universitäten. Am Schluss leidet der Forschungs- und Innovationsplatz und damit der Werkplatz Schweiz.

Aber das Parlament macht ja nicht einfach alles besser: wie bescheiden die austarierten Vorlagen sind, die derzeit im Parlament eine Mehrheit finden, zeigt der in den Schlussabstimmungen beider Räte verabschiedete Mantelerlass für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (21.047). Das Bundesgesetz geht mit vorsichtigen Schritten in die richtige Richtung, Bundesrat Rösti war vor allem darauf bedacht, keiner Seite Anlass für ein Referendum zu geben. Ich hoffe, seine Rechnung geht auf und der Ausbau der Erneuerbaren wird trotzdem schneller voranschreiten – weil sich die Technologie weiterentwickelt und weil es sich zunehmend wirtschaftlich lohnt. Viele Unternehmen sind heute in Sachen Energieeffizienz und Einsatz moderner Technologien viel weiter als die sie vermeintlich vertretenden bürgerlichen Parlamentarier:innen, welche wirksame Schritte nach vorne konsequent blockieren. Zu zögerlich ist auch das angeschlagene Tempo beim CO2-Gesetz (22.061), das der Ständerat als Erstrat zu Ende beraten hat. Hier können wir zumindest noch hoffen, dass der Nationalrat stärkere Akzente setzt, denn alle wissen, mit den bisher beschlossenen Massnahmen werden wir die Klimaziele von Paris nicht erreichen bis 2050. Genau das wollte aber das Volk mit seinem Ja in der Abstimmung vom Juni dieses Jahres.

Ich hoffe sehr, dass das Parlament nach den Wahlen wieder mutiger agiert – das ist aber nur möglich mit einer starken sozialen, oekologischen und weiblichen Zusammensetzung!

Bezüglich Gleichstellung haben wir einiges erreicht in der zu Ende gehenden Legislatur, ich habe jeweils darüber berichtet. In der vergangenen Session haben wir die Vorlage zu einer besseren Vereinbarung von politischem Mandat und Mutterschaft definitiv verabschiedet, welche auch auf eine Standesinitiative von Basel-Stadt zurückgeht (21.311). Das neue Gesetz garantiert, dass Mandatsträgerinnen an den Abstimmungen im Parlamente teilnehmen können, ohne den Anspruch auf Mutterschaftsgeld zu verlieren.

Für unsere Region ist die Herbstsession fulminant gestartet: mit der Enthüllung von «Tilo», dem neuen Kunstwerk am Bundeshaus, im Dreieck unter dem Giebel, eine Arbeit des Basler Künstlerduos Renée Levi und Marcel Schmid. Ein absolut gelungenes Kunstwerk, von Hand gefertigte Kacheln, anders im Stil als das ganze Bundeshaus – und doch fügt es sich auf wundervolle Weise ein, es ist, als ob es immer schon da gewesen wären. Ich gratuliere den beiden ganz herzlich und freue mich über die dauerhafte Präsenz von Basel am Bundeshaus!

Weniger berauschend war die Feier im Bundeshaus zu 175 Jahre Bundesverfassung: statt einer historisch adäquaten Einordnung der Umstände, die zur wirklichen Geburtsstunde der modernen Schweiz geführt haben, inklusive der Verdeutlichung, dass der Gründungsmythos von 1291 genau dann erfunden wurde und mit dem Zweck, die Sonderbundskantone in den neuen Bundesstaat einzubinden. Daneben gab es schöne kulturelle Darbietungen – hier waren die Frauen gefragt – und es wurden mässig begeisternde Reden – von Männern gehalten – untermalt mit Klischees über die verschiedenen Landesteile. Eine verpasste Chance.

Im Bundeshaus sind wir Basler:innen zahlenmässig ja leider untervertreten, verglichen mit dem Gewicht unserer Region. Was wir wirtschaftlich, finanziell und bezogen auf Forschung und Innovation zum Wohlergehen unseres Landes beitragen, ist enorm und wird unterschätzt und geringgeschätzt. Umso mehr hoffe ich, dass es uns diesmal gelingt, uns einen Bundesratssitz zu kapern. Ich weiss, Bundesrätinnen und Bundesräte arbeiten für das ganze Land.  Es spielt aber eben trotzdem eine Rolle, woher sie kommen. In diesem Sinne werden wir Parlamentarier:innen aus Basel und Baselland alles tun, um Beat auf dem Weg in den Bundesrat zu unterstützen.

Der Wahlkampf für National- und Ständerat machte sich auf verschiedene Weise bemerkbar in der vergangenen Session: gewisse Geschäfte wurden in den Kommissionen verzögert und gar nicht in die Session gebracht, wie zum Beispiel die Bundesfinanzierung an die Kitas (21.403). Ausserdem gab es gehässige Debatten zu den Wahlkampfthemen: So verlangte die SVP eine ausserordentliche Session zum Thema Asyl – ausser einer stundenlangen Debatte im Nationalrat natürlich ohne jedes Resultat. Im Ständerat liessen wir die Debatte einfach ins Leere laufen. Gleichzeitig zeigte es sich in den letzten Wochen, dass es richtig war, in der Sommersession für die Aufstellung von Asylkontainern durch den Bund zu votieren – da die Kantone dem Bund die erforderliche Anzahl Plätze in Zivilschutzanlagen nicht zur Verfügung stellen können oder wollen.

Auf Antrag der SP-Fraktion fand in beiden Räten eine ausserordentliche Session mit Vorstössen zur Wohnungsnot statt. Weder eine regelmässige Kontrolle der Mietzinse noch ein befristetes Moratorium für Mietzinserhöhungen kamen durch. Erfolg hatten in beiden Räten lediglich Postulate, die den Bundesrat auffordern zu prüfen, ob die Bautätigkeit gefördert werden kann, indem eine gesetzliche Grundlage für ein "massvolles Kostenrisiko" bei Einsprachen geschaffen wird, um unnötige Einsprachen zu verhindern. (23.3640). Im Ständerat wurde ausserdem zwei Motionen angenommen. Eine Motion von Stefan Engler will Rechtssicherheit im Mietrecht (22.4448), konkret, dass der Bundesrat die zulässige Nettorendite für Wohn- und Geschäftsliegenschaften festlegt, wenn der Referenzzinssatz steigt, und diese nicht den Gerichten überlassen bleibt. Eine weitere Motion von Matthias Michel verlangt, dass basierend auf den Möglichkeiten des revidierten Raumplanungsgesetzes Massnahmen zur Verdichtung wirklich umgesetzt werden unter der Voraussetzung, dass preisgünstiger und gemeinnütziger Wohnungsraum erstellt wird (23.3672). Damit sollen Massnahmen beschleunigt werden, welche ohnehin am «Runden Tisch» behandelt werden, den Bundesrat Guy Parmelin einberufen hat, um der Wohnungsnot zu begegnen. Auch der Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz, dessen Präsidentin ich bin, nimmt an diesen Gesprächen teil. Wir werden den Aktionsplan, den eine Arbeitsgruppe ausarbeitet, genau studieren und unsere weiteren Forderungen am nächsten Runden Tisch im 1. Quartal 2024 einbringen.

Betrachtet man aktuellen Umfragen darüber, was die Bevölkerung am meisten beschäftigt – sind es in erster Linie die Gesundheitskosten, noch stärker als die Mieten, kein Wunder nach dem rekordhohen Prämienanstieg, den Bundesrat Berset kurz vor dem Ende seiner Amtszeit bekanntgeben musste. Trotz der Dringlichkeit gibt es keinen Konsens für Lösungen, wie die Gesundheitskosten gesenkt werden können. Und auch griffige Massnahmen, wie die Bevölkerung kurzfristig entlastet werden kann, haben es schwer. Nicht alle Kantone haben ein so gut ausgebautes System der Prämienverbilligungen wie Basel-Stadt, und der Gegenvorschlag zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP (maximal 10% des Einkommens für die Krankenkassenprämien, 21.063) geht viel zu wenig weit.

Schwer gefallen ist mir die Zustimmung zum Zahlungsrahmen Nationalstrassen 2024-2027 (23.032). Jede zusätzliche Strasse generiert Mehrverkehr und dass Bundesrat Rösti hier eine andere Position vertritt als seine Vorgängerin, muss Anlass zur Sorge sein. Eine Ablehnung kam für mich gleichwohl nicht infrage, da das Gesamtpaket ein Projekt enthält, von dessen Notwendigkeit ich überzeugt bin: der Rheintunnel. Die Osttangente führt mitten durch Wohngebiet und belastet die betroffenen Quartiere seit Jahren übermässig. Der Rheintunnel ist ebenso notwendig wie der anschliessende Rückbau der heutigen Strassen. Dass dieser von der Regierung noch nicht zugesichert wird, erschwert die Zustimmung zum Projekt, weshalb ich auch den Widerstand verstehe. Ich unterstütze die Forderungen des Quartiers, vor dem Bau Zusicherungen zu erhalten und habe Verständnis für das Referendum, die Bevölkerung muss entscheiden können. Deshalb habe ich mich in der Schlussabstimmung dann enthalten.

Eine Auswertung von SRF (Artikel) liess mich als effizienteste Parlamentarierin dastehen, da ich den höchsten Anteil meiner Vorstösse durchgebracht habe. Schön! Ich habe dann gleich in dem Stil weitergemacht mit einer Kommissionsmotion, die auf meine Initiative zurückgeht, dass der Bundesrat bis Ende 2026 Stellung nehmen muss zur einer Finanzierung einer Landesausstellung und auch eine Selektion der existierenden Projekte vornehmen muss (23.3966). Nun hoffen wir auf die Zustimmung des Nationalrates.

So ist diese Legislatur zu Ende gegangen, mit kleinen Erfolgen und grossen weiterhin anstehenden Problemen. Immerhin konnte sich auch der Ständerat dazu durchringen, für das Ausserdienststellen von 25 Leopard-2-Panzern zu stimmen, ohne auf die Finte von FDP und SVP reinzufallen, die ihre Zustimmung davon abhängig machen wollten, gleichzeitig 71 stillgelegte Panzer 87 für die Schweizer Armee zu reaktivieren, ein völlig unnötiger Schritt der Armeeausbauer (23.025).

Und damit treten wir in die Schlussphase des Wahlkampfes ein. Wenn alles gut geht, werde ich in der nächsten Legislatur das Ständeratspräsidium innehaben. Dieses möchte ich schwerpunktmässig als Plattform nutzen für die Perspektiven und Anliegen der Städte und der Frauen.