Rückblick - Herbstsession 2021

Gleichstellung, Garantie des Grenzverkehrs in Pandemiezeiten, Eigenmietwert und viele andere Themen wurden in dieser Session behandelt – aber die Diskussion über die Anwendung des Covid-Zertifikats dominiert und vergiftet die Atmosphäre.

 

Lohngleichheit – alles eine Frage der Methode?

Im Jubiläumsjahr «50 Jahre Frauenstimmrecht» ist viel von Gleichstellung die Rede. Forderungen aller Art werden mit dem Verweis auf Gleichstellung begründet. Bei der AHV-Reform soll aus Gleichstellungsgründen das Frauenrentenalter erhöht und an dasjenige der Männer angepasst werden. Wir wehren uns dagegen mit Verweis auf die weiterhin bestehende Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen.

Seit der Revision des Gleichstellungsgesetzes mit Wirkung ab 1. Juli 2020 sind alle Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden verpflichtet, eine betriebliche Lohngleichheitsanalyse durchzuführen. Die Publikation der ersten Ergebnisse im Juli 2020 zeigt, dass 95 - 97% der Firmen die Vorgaben gemäss Gleichstellungsgesetz einhalten. Die NZZ am Sonntag titelte am 15. August 2021: «Kaum Lohndiskriminierung von Frauen». Also alles halb so wild oder hat sich ein Jahr nach der Revision des Gleichstellungsgesetzes alles zum Guten gewendet? Verschwinden die Unterschiede, je nach Methode, die angewendet wird? Oder publizieren nur die Firmen mit positiven Resultaten, da es keine Sanktionen gibt für Firmen, die sich ihrer Pflicht entziehen? Diese Fragen stelle ich dem Bundesrat in einer Interpellation (link).

 

Unterhalt bei Scheidungen – Schaffen einer Datengrundlage

In einer Reihe kürzlich ergangener Leiturteile hat das Bundesgerichts seine Praxis bei Unterhaltszahlungen im Falle von Scheidungen verändert: Unterhaltszahlungen werden gekürzt für Frauen, die zugunsten der Betreuung der Kinder während Jahrzehnten auf berufliche Tätigkeit verzichtet haben. Begründet wird dies damit, dass veränderte gesellschaftliche Verhältnisse mit einer deutlich gestiegenen ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen einhergingen und der Unterhalt somit seine Notwendigkeit eingebüsst habe. Es ist davon auszugehen, dass diese Praxisänderung zu schwierigen finanziellen Situationen führt. Wie stark diese Entwicklung ausfällt, kann aufgrund aktuell fehlender Daten nicht beantwortet werden. Deshalb stelle ich in einer breit abgestützten Motion den Antrag, dass der Bundesrat den Auftrag erhält, eine Datengrundlage zu Unterhaltsentscheiden im Familienrecht zu schaffen (link).

 

Abzug für Fremdbetreuung von Kindern erhöht und Auslegeordnung zu Modellen der Individualbesteuerung

Die Renten von Frauen sind in der Schweiz nach wie vor rund ein Drittel niedriger als diejenigen der Männer, im internationalen Vergleich ist dieser sogenannte «Gender Pension Gap» überdurchschnittlich hoch. 60% der berufstätigen Frauen arbeiten Teilzeit, um Kinder- und Angehörigenbetreuung unter einen zu Hut bringen. Das ist für eine berufliche Karriere hinderlich, was sich wiederum in niedrigeren Löhnen, Lohnausfällen und einer schlechteren Vorsorge niederschlägt. Es entsteht der Eindruck, als ob das Bundesgericht in seinen Urteilen eine gesellschaftliche Entwicklung vorausnimmt, die wir Frauen uns zwar wünschen, die aber noch nicht eingetroffen ist. Denn weiterhin fehlt es an genügend Plätzen für die Kinderbetreuung, und die Elterntarife sind zu hoch. Steuerliche Fehlanreize halten verheiratete Frauen zudem davon ab, die Arbeit wieder aufzunehmen oder ihr Pensum zu erhöhen. Um dem zu begegnen, hat Christa Markwalder eine parlamentarische Initiative eingereicht, welche die steuerliche Entlastung für familienexterne Kinderbetreuung von bis zu 25'000 Franken verlangt – sie wurde in dieser Session von beiden Räten angenommen (20.455). Und in der dritten Sessionswoche hat der Bundesrat die vom Parlament verlangte Auslegeordnung zur Individualbesteuerung vorgelegt, welche ebenfalls Anreize schaffen soll, dass es sich für verheiratete Frauen lohnt, erwerbstätig zu sein oder zu bleiben (BR - Bundesrat legt Auslegeordnung zur Individualbesteuerung vor ).

 

Garantie des Grenzverkehrs auch in Pandemiezeiten

Erfreulich war die deutliche Überweisung meiner Motion zur Garantie des Grenzverkehrs auch in Pandemiezeiten (21.3698). Nach dem Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen ist es umso dringlicher, die Situation der Grenzkantone konstant in Erinnerung zu rufen. Wegen der grossen Unterstützung fiel es mir schwer, andere Grenzregionen bei ihrem Begehren, den Einkaufstourismus in der Grenzregion durch eine Beseitigung der Wertfreigrenze einzuschränken (19.3975, 18.300, 18.316), nicht zu unterstützen. Aber die Haltung Basel-Stadts ist hier eine andere: wir sehen mehr unerwünschte bürokratische Hürden als einen wirklichen Nutzen, und erachten gute Beziehungen in der Grenzregion als wichtiger und nicht zuletzt sind viele Leute auch aus finanziellen Gründen einfach darauf angewiesen, im nahen Ausland einzukaufen. So habe ich mich der Stimme enthalten.

 

Systemwechsel beim Eigenmietwert?

Ich glaube nicht daran, dass der Eigenmietwert bei diesem neuerlichen Versuch abgeschafft wird, einmal mehr schlägt die Mehrheit des Ständerates keinen kompletten Systemwechsel vor, die Variante, die jetzt an den Nationalrat geht, bringt den Hauseigentümern weitere Vorteile (17.400). Das herrschende System ist ausgewogen und sollte beibehalten werden.

 

Ausweitung der Zertifikatspflicht

Und über all diesen Diskussion dominiert die tägliche Diskussion um die Ausdehnung der Zertifikatspflicht. Bei der Frage der Einführung der Zertifikatspflicht im Parlamentsgebäude, ist vom Anzweifeln der Wirksamkeit der Impfstoffe oder deren Sicherheit bis zur Einschränkung der Grundrechte ebenfalls alles zu hören (21.482). Mehrmals sehe ich in dieser Session die inzwischen schweizweit bekannten und von Bundesrat Ueli Maurer geadelten Treichler in Bern. Ausserdem gehört es schon zum gewohnten Bild, dass gegen Ende der Debatten im Parlament die Gitter vor dem Bundeshaus montiert werden, und bei der Nachtsitzung des Nationalrats in der letzten Woche musste der Bundesplatz zum Schutz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier weiträumig abgesperrt werden. Als Regierungsrätin Nathalie Rickli vor einigen Wochen bei einem Auftritt für eine Impfaktion mit einer Flüssigkeit übergossen wurde (im Moment der Tat konnte sie nicht wissen, worum es sich handelte), bin ich aufgeschreckt. Das Gerede von der Diktatur konnte mich noch nicht erschüttern, aber solche Aktionen, auch das Demonstrieren in der Wohnortgemeinde eines Bundesrates, machen mir Sorgen, darin liegt eine Aggressivität und ein Gewaltpotential, das ich – im Gegensatz zum Bild, das die Treichler zu vermitteln vorgeben – als gänzlich unschweizerisch empfinde. Und als undankbar: im Gegensatz zu vielen anderen Ländern haben wir genügend Geld, um die Krise wirtschaftlich zu meistern, haben genügend Impfstoff, um die Krise zu beenden, aber wir beschwören eine politische Krise herauf. Die SVP gibt den Impfgegnerinnen und -gegnern eine Heimat und erfindet den Stadt-Land-Graben als neue Kampfzone. Das dürfen wir nicht einfach geschehen lassen, dem müssen wir unermüdlich mit Fakten unterlegte Argumente entgegenhalten, es gibt genügend!

 

Eva Herzog, 5. Oktober 2021