Gleichstellung - welche Gleichstellung?
Im Jubiläumsjahr «50 Jahre Frauenstimmrecht» ist viel von Gleichstellung die Rede. Forderungen aller Art werden mit dem Verweis auf Gleichstellung begründet. Unterschiedliche Interpretationen derselben Datenlage, differierende Methoden und fehlende Datengrundlagen prägen das Bild auf je unterschiedliche Weise. Zu den Themen Lohngleichheit und Unterhaltsentscheiden bei Scheidungen habe ich zwei Vorstösse eingereicht.
Lohngleichheit – alles eine Frage der Methode?
Bei der AHV-Reform soll aus Gleichstellungsgründen das Frauenrentenalter erhöht und an dasjenige der Männer angepasst werden. Linke Kreise wehren sich dagegen mit Verweis auf die weiterhin bestehende Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen.
Seit der Revision des Gleichstellungsgesetzes mit Wirkung ab 1. Juli 2020 sind alle Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden verpflichtet, eine betriebliche Lohngleichheitsanalyse durchzuführen. Die Publikation der ersten Ergebnisse im Juli 2020 zeigt, dass 95 - 97% der Firmen die Vorgaben gemäss Gleichstellungsgesetz einhalten. Die NZZ am Sonntag titelte am 15. August 2021: «Kaum Lohndiskriminierung von Frauen». Also alles halb so wild oder hat sich ein Jahr nach der Revision des Gleichstellungsgesetzes alles zum Guten gewendet? Verschwinden die Unterschiede, je nach Methode, die angewendet wird oder ist die Toleranzschwelle von 5% zu grosszügig, toleriert also einen zu grosse Diskriminierung der Frauenlöhne? Oder ist das positive Bild darauf zurückzuführen, dass nicht alle Firmen verpflichtet sind, eine Lohnanalyse durchzuführen und dass es vor allem keine Sanktionen gibt für diejenigen Firmen, die sich ihrer Pflicht entziehen? Diese Fragen stelle ich dem Bundesrat in einer Interpellation (Link zur Interpellation).
Unterhalt bei Scheidungen – Schaffen einer Datengrundlage
Eine neue Studie des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen zeigt, dass die Renten von Frauen in der Schweiz nach wie vor rund ein Drittel niedriger sind als diejenigen der Männer, was im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch ist. 90% dieses «Gender Pension Gap» stammen aus der beruflichen Vorsorge. 60% der berufstätigen Frauen arbeiten Teilzeit, um Kinder- und Angehörigenbetreuung unter einen zu Hut bringen. Das ist für eine berufliche Karriere hinderlich, was sich wiederum in niedrigeren Löhnen, Lohnausfällen und einer schlechteren Vorsorge niederschlägt. Vorsorgeexperten ergänzen dies mit dem Hinweis, dass das schweizerische Vorsorgesystem generell immer noch auf das traditionelle Familienbild mit dem Mann als Alleinversorger zugeschnitten sei (bspw. In der NZZ vom 29. September 2021).
Vor diesem Hintergrund erstaunt eine Reihe kürzlich ergangener Leiturteile des Bundesgerichts: Sie reduzieren bei Scheidungen die Unterhaltszahlungen an Frauen, die zugunsten der Betreuung der Kinder während Jahrzehnten auf berufliche Tätigkeit verzichtet haben. Begründet wird dies damit, dass veränderte gesellschaftliche Verhältnisse mit einer deutlich gestiegenen ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen einhergingen und der Unterhalt somit seine Notwendigkeit eingebüsst habe. Die Ehe solle keine «automatische Lebensversicherung» mehr sein. Dies, obwohles weiterhin an ausreichenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung mangelt und das Steuersystem für verheiratete Frauen negative Arbeitsanreize setzt. Es ist davon auszugehen, dass das Wegfallen von Unterhalt nach Scheidungen für die Betroffenen zu schwierigen finanziellen Situationen führt und das Armutsrisiko zunimmt. Wie stark diese Entwicklung ausfällt, kann aufgrund aktuell fehlender Daten nicht beantwortet werden. Deshalb stelle ich in einer breit abgestützten Motion den Antrag, dass der Bundesrat den Auftrag erhält, eine Datengrundlage zu Unterhaltsentscheiden im Familienrecht zu schaffen (Link zur Motion).