Festansprache am 1. August 2022 in Riehen

Beginn Fest um 18h, 19.30h Festansprache

 

 

Sehr geehrte Frau Gemeindepräsidentin, liebe Christine

Sehr geehrter Herr Einwohnerratspräsident, lieber Martin

Sehr geehrter Herr Regierungsrat, lieber Conradin

Sehr geehrte Vertretungen aus Gemeinderat und Einwohnerrat Riehen, der Bürgerkorporation, aus dem Grossen Rat und der Nachbargemeinden

 

Liebe Riehemerinnen und Riehemer

 

Ich habe mich sehr gefreut über die Einladung, an diesem 1. August an Ihrer Feier zu Ihnen sprechen zu dürfen und bedanke mich herzlich dafür bei Ihrer frisch gebackenen Gemeindepräsidentin.

 

Wir alle wissen, dass der 1. August 1291 nicht der Geburtstag der heutigen Schweiz ist. Aber auch auf die Verfassung vom 12. September 1848 auszuweichen, befriedigt nicht ganz. Dort fehlt der Kanton Jura als eigenständiger Kanton und vor allem das Stimmrecht der Frauen – und überhaupt ist es störend, dass Basel-Stadt und Baselland keine vollen Kantone mit zwei Ständeratssitzen sind!

Folglich bleiben wir beim 1. August und nehmen ihn als willkommene Gelegenheit, einmal im Jahr innezuhalten und über unser Land nachzudenken, in einer Zeit, in der sich viele von uns grundsätzliche Fragen stellen; in einer Zeit, in der Verunsicherung und Zukunftsängste zunehmen.

 

Die ersten Zeilen dieser Rede habe ich Mitte Juli auf einer Reise durch Mosambik geschrieben. In ein rotes Notizbuch der DEZA, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, mit dem das Aussendepartement, das EDA, unter anderem Werbung gemacht hat für die Wahl der Schweiz in den UNO-Sicherheitsrat.

 

Ich habe an einer Studienreise für nationale Parlamentarier:innen teilgenommen, organisiert von der Swiss Malaria Group, einer Reise, die von den Organisatoren her sehr basellastig war, weil unsere Region mit dem Schweizerischen Tropen- und Public Health Institute (Swiss TPH), der Pharmaindustrie und natürlich auch verschiedenen Hilfswerken diesbezüglich viel Wissen und Kompetenz hat.

 

Die Reise bot vielfältige Anregungen für ein Nachdenken über die Schweiz im Hinblick auf die heutige Feier, über


- eine aktive Rolle der Schweiz in der Welt,

- über den Beitrag unserer Region dazu und

- meine ganz persönliche Haltung.

 

Bevor ich starte, an alle, die den Finger schon am Handy haben, um zu twittern: Wir fünf Parlamentarierinnen aus verschiedenen Kantonen haben die Reise von A – Z selber bezahlt….

 

Mein persönliches gesellschaftliches Engagement hat in jungen Jahren in der damaligen Dritte Welt-Laden-Bewegung begonnen, heute Claro-Läden oder Fair Trade-Läden. Die finanzielle Ausbeutung der Länder des Südens und die damit einhergehenden grossen Ungleichheiten auf der Welt waren vor jeder Parteipolitik der Anfang meines gesellschaftspolitischen Engagements – und an dieser Priorität hat sich eigentlich bis heute nichts geändert, das hat mir diese Reise wieder gezeigt.

 

Und was uns Reisenden auch deutlich vor Augen geführt wurde: Entwicklungszusammenarbeit lohnt sich, man kann etwas bewegen. Es geht im Grunde immer um dieselben Dinge, um die wirtschaftliche Lage eines Landes voranzubringen: Infrastruktur (insbesondere die Versorgung mit sauberem Wasser), Gesundheitsversorgung (an unserem Beispiel zentral die Bekämpfung von Malaria und HIV/Aids) und Bildung (zum Unterricht gehören auch Informationen zur Übertragung von ansteckenden Krankheiten) – und generell auf die jungen Leute setzen, was in Mosambik mit einer sehr jungen Bevölkerung ohnehin auf der Hand liegt.

 

Und immer wieder das Swiss TPH. Kontakte überall, gemeinsame Projekte, gemeinsame Forschung und Implementierung von Medikamenten und Gesamtstrategien der Gesundheitsprävention. Das ist das einzigartige an diesem Institut, das mich schon immer fasziniert hat: nicht die Naturwissenschaften allein bringen Fortschritt oder im Fall von Malaria: Gesundheit.

 

Was nützt ein Medikament, wenn es nicht eingenommen wird, weil es Vorbehalte gibt; was nützt die Verteilung von Moskitonetzen, wenn die Leute sie zum Fischen brauchen? Es braucht Information, Einbezug der lokalen Bevölkerung, Community-working. Und die Haltung des Swiss TPH in den 75 Jahren seiner Existenz: wir lernen gegenseitig voneinander.

 

War es denn bei uns so anders während Covid? Zuerst ein riesen Gedöns, dass noch nicht genügend Impfstoff da ist, dann mühselige Überzeugungsarbeit bei der Bevölkerung, sich impfen zu lassen, als es für alle möglich war. Und überhaupt, Information, Aufklärung, glaubwürdige Botschafter:innen sind das A und O. Die Reise hat mich bestärkt darin, dass das Swiss TPH diesbezüglich auch in der Schweiz als Nationales Epidemie- und Pandemiezentrum eine zentrale Rolle spielen könnte mit seiner einzigartigen Kombination von Forschung und Lehre, Innovation und konkreter Umsetzung von Gesundheitsmassnahmen in der Praxis.

 

Was hat das alles mit dem 1. August zu tun, dem Nationalfeiertag der Schweiz?

 

Wie ich eingangs gesagt habe: Eine solche Informationsreise regt zu grundsätzlichen Gedanken an und führt einem natürlich auch vor Augen, wie privilegiert wir sind in der Schweiz. Wie unbedeutend erscheinen unsere Probleme angesichts der Situation von Ländern wie Mosambik. Ja, aber statt sich einfach ein bisschen zu schämen und dann zur Tagesordnung überzugehen: darin liegt doch auch eine Verpflichtung, und darüber möchte ich sprechen.

 

Die Schweiz ist keine Insel, weder geographisch, noch wirtschaftlich, noch als Lebensraum, das muss ich hier in Riehen niemandem erklären – das verstehen wir hier im Dreiland aufgrund unserer alltäglichen Erfahrungen besser als in anderen Teilen der Schweiz. Unsere Region steht für eine weltoffene, fortschrittliche und zukunftsfähige Schweiz.

 

Und dafür stehe ich ein als Ihre Vertreterin in Bern.

 

Die Schweiz ist wirtschaftlich eines der globalisiertesten Länder der Welt. Die Globalisierung hat uns reich gemacht – deshalb sollten wir andere an unserem Wohlstand teilhaben lassen, mit einer gut durchdachten Entwicklungszu-sammenarbeit, welche die Menschen im globalen Süden stärkt und nicht neue Abhängigkeiten schafft – mit Hilfswerken, deren Credo es von Anfang an ist, sich mit ihrem Engagement überflüssig zu machen. Hilfe zur Selbsthilfe, das war schon unsere Losung in den Dritte Welt-Läden in den 70er und 80er Jahren.

 

Und darüber hinaus: Was für eine Rolle soll die Schweiz in der Welt spielen?

Wirtschaftlich global, aber ohne aktive Aussenpolitik? Immer mit dem Verweis auf eine Neutralität, die im 19. Jahrhundert installiert wurde, weil es im Interesse der uns umgebenden Grossmächte war, dass die Schweiz unabhängig blieb? Einer Unabhängigkeit auch im Interesse der Schweiz, ganz ohne Zweifel. Aber gilt dies heute noch?

 

Nach fast zwei Jahren Ausnahmezustand wegen Corona tobt in Europa ein Krieg, mit dem kaum jemand wirklich gerechnet hat. Der Krieg hat uns alle aufgerüttelt, gerade auch meine Generation und unsere Kinder, die wir nie Krieg erlebt haben und dachten, mit dem Ende des kalten Kriegs sei diese Bedrohung in Europa wirklich vorbei; wir, die wir an den Siegeszug der Demokratisierung glaubten, obwohl gegenläufige Tendenzen in den letzten Jahren immer sichtbarer geworden sind, nicht nur in weit entfernten Diktaturen, auch in Teilen Europas oder in den USA.

 

Oberste Priorität hat ein Ende dieses schrecklichen Kriegs – unter Wahrung der Unabhängigkeit der Ukraine. Darüber hinaus wage ich die Frage: kann dieser Krieg ein Momentum sein, gerade auch für die Schweiz? Der Krieg zeigt auf brutalste Weise, wer zusammengehört. Die heutige schweizerische Neutralität ist zu einer Leerformel geworden: unsere Nachbarländer stellen unsere Unabhängigkeit längst nicht mehr in Frage, die Schweiz gehört zu Europa, es gilt, gemeinsam unsere demokratischen Werte zu verteidigen.

 

Das Friedensprojekt Europa, das am Anfang der heutigen Europäischen Gemeinschaft stand, damit auch die kulturelle, nicht nur wirtschaftliche Zusammengehörigkeit, tritt heute wieder mehr in den Vordergrund und könnte dazu beitragen, dass wir endlich eine beidseits befriedigende Lösung unserer Beziehung zur EU finden, da auch eine emotionale Annäherung stattfindet.

 

Oder in Bezug auf den Klimawandel: Wenn es alle wissenschaftlichen Studien nicht geschafft haben – könnten die Drohungen Russlands, Europa den Gashahn zuzudrehen, zusammen mit den stark gestiegenen Oel- und Benzinpreisen den Umstieg auf alternative Energien beschleunigen. Auch dies muss im Verbund mit Europa geschehen, mit einem aktiven Beitrag der Schweiz, die Zeiten des Rosinenpickens sind vorbei... Und auch ein politischer Konsens in der Sicherheitspolitik ist möglich, wenn diese in eine europäische Sicherheitspolitik eingebettet ist.

 

Damit komme ich zum Schluss.  –    Ich wünsche mir eine Schweiz, die mit allem, was sie ausmacht, mit ihrer Vielfalt und ihren wertvollen demokratischen Strukturen auch um ihre Verflechtung mit der Welt weiss; eine Schweiz, die Neutralität nicht mit Gleichgültigkeit gegenüber Unrecht, wie der Verletzung des Völkerrechts, verwechselt; eine Schweiz, die sich aktiv einbringt für die Schwächsten auf dieser Welt und eine Schweiz, die gemeinsam mit ihren europäischen Nachbarn für Freiheit und Demokratie einsteht.

 

Auf diese Schweiz möchte ich mit Ihnen anzustossen, auf die Schweiz von morgen, auf eine Schweiz, die auch für unsere Kinder und Enkelkinder weiterhin ein lebenswerter Ort ist.  

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (EH/1.8.2022)