Für eine Schweiz, die vorwärts macht.

Votum Eva Herzog, Ständerätin des Kantons Basel-Stadt

In den bald vier Jahren im Ständerat konnte ich mich nicht über mangelndes Tempo im Parlamentsbetrieb beklagen. Mein Einstieg fand während der Coronakrise statt – mit Lichtgeschwindigkeit wurden Hilfspakete für Unternehmen aus dem Boden gestampft – als Mitglied der Finanzdelegation war ich ab März 2020 aus nächster Nähe dabei. Die schnelle Entwicklung von Impfstoffen unterstützte die Bewältigung der Krise. Eine Erho- lung für Wirtschaft und Gesellschaft zeichnete sich Ende 2021 ab.
Kurz darauf stürzte der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine die westliche Welt in die nächste Krise. Die Schweiz war gezwungen, ihre Aussenpolitik zu überdenken. Die De- batte um die Auslegung der Neutralität dauert bis heute an, ebenso die Diskussion über die Ausrüstung der Armee und die Weitergabe von Kriegsmaterial. Die Sorge um eine Energieknappheit im vergangenen Winter brachte einen Schub beim Umstieg auf alter- native Energien, veranlasste das Parlament zu Beschlüssen für einen schnelleren Ausbau von Solar- und Windkraft. Der Bundesrat schuf einen Rettungsschirm für systemrelevante Unternehmen der Stromwirtschaft – abgesegnet wiederum durch die Finanzdelegation.
Der milde Winter, Wasserkraftreserven und die Anstrengungen unserer Nachbarländer taten ihre Wirkung. Aktuell geht es bereits darum, zu verhindern, dass der gute Wille er- lahmt. Schon jetzt drohen die guten Vorsätze für eine bessere Vorbereitung auf künftige Pandemien unter Papierbergen von Analysen zu verschwinden.
Vor wenigen Wochen dann die nächste Krise, die alle Aufmerksamkeit auf sich zog und noch immer zieht: das Verhindern einer internationalen Finanzkrise durch einen Kollaps der CS – was Notrecht und Wochenendsitzung der Finanzdelegation mit sich brachte.
Eine Krise jagt die andere. Dazwischen wurde das AHV-Alter der Frauen erhöht und
die Revision der beruflichen Vorsorge trägt den Anliegen der Frauen ebenfalls zu wenig Rechnung. Der Bundesrat hat den Auftrag zur Einführung der Individualbesteuerung bisher nur halbherzig erfüllt, während die Revision des Sexualstrafrechts mit einer Fast- Ja-heisst-Ja-Lösung einen grossen Schritt vorwärts gemacht hat. Ein wichtiges Beispiel dafür, dass eine Allianz von Parlamentarierinnen beider Räte Frauenanliegen durchaus zum Durchbruch verhelfen kann.
Votum Eva Herzog, Ständerätin des Kantons Basel-Stadt Für eine Schweiz,
die vorwärts macht.
Die Frage ist: Hat die Schweiz die Krisen im Gesundheitsbereich und bei der Energie- versorgung ausreichend genutzt, um Schritte nach vorne zu machen? Und ist dies bei der Too-big-to-fail-Problematik zu erwarten?
Zögerlichkeit macht sich in allen Bereichen wieder breit. Durch den Angriff auf die Ukrai- ne und das Zusammenstehen der westlichen Welt könnte ein Ruck durch die schweize- rische Aussenpolitik gehen, der zu einer Neuorientierung führt, einer Neupositionierung der Schweiz in Europa und in der Welt. Wenn nicht, droht eine immer stärkere Isolation, das Unverständnis unserer Nachbarn wird zunehmend grösser.
Ich hatte mir Bewegung erhofft bei der Regelung unseres Verhältnisses zu Europa, der Region, zu der wir geographisch, historisch und kulturell gehören und die unser wichtigs- ter Handlungspartner ist. Ich will optimistisch bleiben, weil unsere Zukunft in Europa liegt, auch gerade im wichtigen Bereich der internationalen Forschung, zu der unser Zugang aktuell eingeschränkt ist. Die fehlende Vollassoziierung bei Horizon Europe schmerzt.
Ebenso erhoffe ich mir mehr Bewegung in der Energiepolitik, bei der Erreichung der Klimaziele. Ich will mir gar nicht vorstellen, was bei einer Ablehnung des Klimaschutz- gesetzes am 18. Juni passieren würde.
Nach den Bundesratswahlen vom vergangenen Dezember ist eine Bewegung entstanden im Parlament, die den Stimmen der Städte mehr Gewicht geben will. Diese richtet sich keinesfalls gegen das Land und seine Bevölkerung, gegen deren wichtige Leistungen
bei der Versorgungssicherheit, den Erholungswert der Natur oder ihren Beitrag zu einer intakten Umwelt. Aber sie richtet sich gegen ein vergangenheitsbezogenes Narrativ der Schweiz als einer primär ländlichen Idylle, fern jeder Realität. 75 Prozent der Schweizer Bevölkerung leben in urbanen Regionen, die über 80 Prozent der Wirtschaftsleitung unseres Landes erbringen – zugunsten der ganzen Schweiz.
An dieser Stelle gleich noch ein Abstimmungshinweis: Mit einem Ja am 18. Juni zur OECD-Mindestteuer werden die Wirtschaftsstandorte der Schweiz in die Lage versetzt, diese Rolle auch weiterhin zu spielen.
Aber zurück zur «Städteinitiative»: Städte sind die Wirtschafts- und Innovationsmotoren unseres Landes, sie stehen für Offenheit und Modernität. Und sie sind von gesellschaftli- chen Problemen schneller oder stärker betroffen. Stichworte hierzu sind Lärm und Luft- verschmutzung, Wohnungsnot oder auch soziale Unterschiede. Entsprechend sind die Städte früher gefordert, Lösungen zu finden. Lösungen, deren Sinn auch auf dem Land gesehen wird, wie beispielsweise das Ja des Bauernverbandes zum Klimaschutzgesetz zeigt, das der SVP gar nicht gefällt. Solche Tendenzen gilt es zu unterstützen. Nicht, um einen Stadt-Land-Graben zu bewirtschaften, sondern um die fortschrittlichen Kräfte in allen Landesteilen zu sammeln.
Wenn solche Beispiele Schule machen, kann ich mich doch noch für die «Geld und Gülle»-Allianz zwischen Wirtschaftsverbänden und Bauernverband erwärmen. Es scheint doch Schnittstellen zu geben – nur ist in dieser Allianz dann kein Platz mehr für die SVP...
Auf der ganzen Welt vernetzen sich die Städte, da sie ähnliche Anliegen und Probleme haben. Ich möchte in den nächsten Jahren meinen Teil zu einer schweizerischen Städte- allianz beitragen, zu einem Lobbying für die Städte, das stärker wahrgenommen wird.Ein Profil für ein Haus der Städte, das die Sichtbarkeit städtischer Anliegen verstärkt, haben wir in einer Arbeitsgruppe bereits erarbeitet - nun suchen wir ein Haus!
Diese Tätigkeit steht ganz im Einklang mit den Interessen unseres Kantons, den ich gerne für weitere vier Jahre im «Stöckli» vertreten möchte. Unseren weltoffenen Kanton, wegweisend in vielen Bereichen: bei der Klima- und Energiepolitik, bei der Bildung, der Kultur, der Sozialpolitik, bei Wohnbauthemen - Stichwort Förderung des genossenschaft- lichen Wohnungsbaus - in Verkehrsfragen oder bei der Gleichstellung der Geschlechter. Ich möchte mich einsetzen für unsere Interessen in Forschung und Innovation, für die Verkehrs-infrastruktur auf Wasser und Schiene, für unseren Life Sciences- und Logistik- standort.
Mit der Einführung der Individualbesteuerung und der Verstetigung der Kita-Finanzierung stehen weitere wichtige Geschäfte an, welche die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen stärken.
Mehr Basel in Bern, damit die Schweiz vorwärts macht! Dies fasst mein Arbeitsgefühl in Bern gut zusammen. Denn zu Basel gehört auch gegenseitige Rücksichtnahme und der Wille zum Kompromiss – damit sind wir gut gefahren in Basel und dies sollte auch in Bern wieder spürbarer werden.


Eva Herzog 2. Juni 2023