08.06.2020: Rückblick auf die erste Woche der Sommersession

Hauptthema im Ständerat am Donnerstag der ersten Sessionswoche war der Nachtrag II zum Voranschlag 2020 im Umfang von weiteren knapp 15 Milliarden Franken. Der grösste Teil fällt dabei auf einen weiteren Einschuss des Bundes in die Arbeitslosenversicherung (14,2 Milliarden Franken).

Nachträge zum Voranschlag, die es jedes Jahr gibt, sind in der Regel nicht von grosser Bedeutung und geben wenig zu reden. Eine gewisse Gewöhnung an die riesigen Summen, fast stets Milliardenbeträge, im Zeichen der Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise, ist im Parlament auch schon festzustellen. Gleichzeitig beginnt die Diskussion, wie mit der zusätzlichen Verschuldung umgegangen werden soll. Es besteht Konsens, dass die strengen Regeln der Schuldenbremse nicht eingehalten werden können, sonst müssten in den nächsten Jahren bis zu 5 Milliarden jährlich eingespart werden. Das ist bei einem Gesamtbudget von um die 70 Milliarden, bei dem der Hauptteil gebundene Ausgaben sind, die also nur begleitet von Gesetzesänderungen beeinflusst werden können, schlicht undenkbar.

 

Im Nationalrat wurde am Vortag anlässlich der Debatte zum Nachtrag II die Gelegenheit genutzt, um über den Umgang mit der Verschuldung zu sprechen es wurde eine Kommissionsmotion der Finanzkommission des Nationalrats angekündigt, welche verlangt, dass die ausserordentlichen Schulden ausserhalb der Schuldenbremse-Konti gebucht werden, dass sich die Verschuldung einfach um diesen Betrag erhöht. Ganz meine Meinung! Die Finanzkommission des Ständerates will solche Entscheide frühestens an ihrer zweitägigen Sitzung von Ende Juni fällen, dazu hat sie vom Bundesrat eine Auslegeordnung verlangt.

 

Im Rahmen der kurzen Debatte im Ständerat entschloss ich mich spontan zu einem kurzen Positionsbezug, dessen mündliche Holprigkeiten ich hier etwas bereinige und ergänze.

 

 

04.06.2020 Votum Nachtrag IIa

Video

Herzog Eva (S, BS):

Bei der Präsentation der Solidarbürgschaften und überhaupt am Anfang der Krise, als mit der grossen Kelle angerührt wurde - was ja auch psychologisch wichtig war, damit keine Panik entstand -, hat Bundesrat Ueli Maurer gesagt: «Wir könnten uns das leisten.» Dies eben auch, um die Bevölkerung zu beruhigen. Wenn man so etwas sagt, dann muss es nachhaltig und langfristig gemeint sein, sonst darf man das nicht sagen. Wenn ich sage, ich kann mir etwas leisten, dann sage ich das, weil ich durch diesen Kauf nicht auf etwas anderes verzichten muss, an dem mir auch viel liegt. Und es ist mir ganz wichtig zu sagen: Wir können uns tatsächlich leisten, was wir heute beschliessen, was wir schon beschlossen haben, die Ausgaben, die finanziellen Aufwendungen zur Bewältigung dieser Krise.

Entscheidend ist die Verschuldung der Schweiz und zwar die Bruttoverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftskraft, die Bruttoschuldenquote, nach Maastricht-Kriterien berechnet, das ist das Entscheidende. Nach dieser Berechnung ist die Schweiz auch nach der Krise, also mit dieser zusätzlichen Verschuldung, die man bis jetzt auf 30 bis 40 Milliarden Franken schätzt, tiefer verschuldet als ihre Nachbarländer vor der Krise. Die Bruttoschuldenquote würde 31 – 32% betragen, bei einer tolerierten Quote von 60%! Und dies stand am Dienstag dieser Woche an einem völlig unverdächtigen Ort, nämlich in der "NZZ", sogar im Finanzteil, wo das Thema war, dass ja jetzt endlich wieder mehr Schweizer Staatsanleihen auf den Markt kommen. Die Anleger würden sich darauf freuen, weil das gute, sichere Anlagen sind, die mit ihrem AAA problemlos vom Markt absorbiert würden.
Das ist einfach wichtig, vor allem, wenn man dann darüber spricht, worunter die kommenden Generationen allenfalls leiden werden. Wenn man immer nur sagt, sie leiden unter zusätzlicher Verschuldung, dann muss man erstens sagen: Wie hoch ist diese Schuld? Ist es eine Verschuldung, die wir uns leisten können oder nicht? Vor allem auch angesichts der anderen Zahlen, die der Präsident der Finanzkommission auch genannt hat, die Zahlen zum Rückgang des Bruttoinlandprodukts oder vor allem auch zum Anstieg der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit. Werden die nachkommenden Generationen nicht stärker darunter leiden, dass ihnen der Berufseinstieg verwehrt wird? Eine steigende Jugendarbeitslosigkeit muss auf jeden Fall verhindert werden.

Es gibt verschiedene Ideen zum Umgang mit dieser Schuld. Der Präsident der Finanzkommission hat es bereits gesagt: Wir haben noch keine Pflöcke eingeschlagen, wie es der Nationalrat zumindest in der Finanzkommission schon getan hat. In unserer Finanzkommission haben wir das noch nicht gemacht. Wir haben gesagt, wir wollen einen Überblick. Das finde ich auch vernünftig. Wir wollen aber diesen Überblick wirklich bald, für unsere Sitzung im Juni, damit wir dort intensiv diskutieren und meiner Meinung nach auch Pflöcke einschlagen können.

Eine Idee - sie wurde erwähnt - ist, dass man diese Schulden einfach zusätzlich aufnimmt und keine Kompensation vorgibt, dass sie ausserordentlich verbucht werden, das heisst nicht nur ausserordentlich auf dem Amortisationskonto der  Schuldenbremse, sondern noch «ausserordentlicher». Ob dies zulässig ist, dazu gibt es unterschiedliche juristische Meinungen. Die einen Juristen sagen, bei der Einführung der Schuldenbremse sei es so gemeint gewesen, es könne ausserordentliche Ausgaben geben, die einfach dazu führten, dass sich die Schulden erhöhen würden und die nicht abgebaut werden müssten. Die anderen Juristen sind der Meinung, dass eine solche Verschuldung aufgrund der Ergänzungsregel aus dem Jahr 2008 nicht gewollt sei. Über eine zu bestimmende Dauer müsse alles wieder abgestottert werden.
Wenn sich Juristen streiten, finde ich das schon mal eine gute Ausgangslage, das heisst, man kann wirklich darüber diskutieren, wie man es machen will.

Das Geld der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ist natürlich auch in vielen Vorschlägen enthalten. Ich finde die von Jan-Egbert Sturm von der Konjunkturforschungsstelle KOF formulierte Idee sehr gut, nicht einfach Geld in den Schuldenabbau zu stecken, sondern konjunkturstützende Massnahmen zu ergreifen, indem der Beitrag für die Arbeitslosenversicherung (ALV, mit dem heutigen Entscheid 20 Milliarden) von der Nationalbank übernommen wird. Das ist eine konjunkturstützende Massnahme, neben der Geldpolitik auch eine Aufgabe der Nationalbank, wie Sturm argumentiert. Dass die Verschuldung für den Bund dann um 20 Milliarden Franken abnehmen würde, bezeichnet Sturm als angenehmen Nebeneffekt! Das wäre es tatsächlich, die zusätzliche Verschuldung des Bundes würde sich um diese 20 Milliarden reduzieren.

Wie gesagt, wir werden im Juni in der Finanzkommission darüber diskutieren. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: die Neuschuld stehen lassen, die Amortisationsfrist auf bis zu 30 Jahre ausdehnen oder Varianten dazwischen. Auch die Gefahr, kein Präjudiz zu setzen für künftige Verschuldungen, muss diskutiert werden, hier bin ich offen für Diskussionen. Wie auch immer entscheiden werden, wir sollten uns vor Augen halten: Wir können uns das einfach leisten. Grundsätzlich können wir uns diese zusätzliche Verschuldung leisten. Punkt. Wie wir es formulieren, wie wir es im Hinblick auf die Zukunft und auf kommende Krisen regeln, das müssen wir diskutieren. Aber wir haben eine gute Ausgangslage für unsere Diskussion. Die Schweiz ist in einer ausgezeichneten Ausgangslage. Ich sage es zum letzten Mal: Wir können uns das leisten.

 

Ich habe mich dann noch zweimal zu Wort gemeldet bei zwei Vorstössen, die zusätzliche Massnahmen zur Bewältigung der Krise vorschlugen, durch einen neuen zusätzlichen Fonds, einen «Schadenregulierungsfonds» sowie durch eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer für Gastrobetriebe. Die SP stand beiden Vorstössen kritisch gegenüber und hat sich abgelehnt.

 

Votum 04.06.2020 Gründung eines Covid-19-Schadenregulierungsfonds

Video

Herzog Eva (S, BS):

Ich bitte Sie auch, das Postulat nicht anzunehmen, auch wenn es nur ein Postulat ist. Es wurde in der Finanzkommission als Motion beantragt, und als Motion, finde ich, hätten wir die Forderung ganz deutlich bekämpfen müssen. In der Form eines Postulates könnte man dem Bundesrat bzw. der Bundesverwaltung den Auftrag geben, einen Bericht zu schreiben; ja, das könnte man. Ich möchte aber sagen, was mich trotzdem schon in der Finanzkommission zu meiner klaren Ablehnung gebracht hat. Ich habe nochmals gelesen, was drinsteht: Man soll prüfen, ob man einen Fonds schafft, der die gänzliche oder teilweise Begleichung des durch die Massnahmen zur Begrenzung der Covid-19-Pandemie verursachten wirtschaftlichen Schadens übernimmt. Das ist für mich eine ungeheuerliche Vorstellung, abgesehen davon, dass ich keine Ahnung habe, wie man diesen Schaden berechnen soll. Es wird dann im Text weicher: Die Abgeltung soll sich nach der Höhe des Schadens und nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bundes richten. Gut, dann kann man sagen: Ja, okay, der Bundesrat kann dann einfach argumentieren, dass wir das Geld nicht haben und es also nicht machen. Aber dann bringt es ja auch nichts.
Ich finde, es ist nicht notwendig, dieses Postulat anzunehmen, weil es eine Piste ist, die uns nicht dient. Der Berichterstatter, Herr Kollege Rieder, hat vorhin gesagt, dass uns dieses Postulat den Weg aufzeichnen kann, wie wir aus den Solidarbürgschaften herauskommen, die wir als Massnahme gewählt haben, um dieser Krise zu begegnen. Das muss der Bundesrat aufzeigen, daran arbeitet er ja, und er wird uns diesen Weg auch vorlegen. Aber dazu braucht er dieses Postulat nicht.
Ich hatte von Anfang an immer Sympathien dafür, auch A-Fonds-perdu-Beiträge zu vergeben. Andere Länder haben das gemacht. Das hätte man für sehr kleine Firmen machen können. Mit den Solidarbürgschaften hat sich die Schweiz jetzt für einen anderen Weg entschieden, der insgesamt auch überzeugend ist. Es ist ein Gesamtkonzept mit den Elementen Kurzarbeit und Solidarbürgschaften. Jetzt einfach hinterher nochmals irgendwie etwas obendrauf zu setzen, das halte ich nicht für möglich und auch nicht für notwendig. Ich halte es für sinnvoller, wenn einem Unternehmen, das eine Perspektive für die Zukunft hat, diese Darlehen aber tatsächlich nicht aus eigener Kraft zurückzahlen kann, diese Darlehen erlassen werden. Aber es muss eben ein Unternehmen sein, das eine Zukunft hat. Wenn man jetzt einen solchen Fonds macht, dann, fürchte ich, wird einfach zuerst nochmals Geld eingeschossen, und später muss das Konkursverfahren trotzdem eingeleitet werden.
Mir gefällt also die Grundidee dieses Fonds nicht, und deshalb bitte ich Sie, das Postulat abzulehnen und der Verwaltung keinen weiteren Auftrag zu geben, noch etwas auszuarbeiten.

 

04.06.2020 Votum Unterstützen wir die unter der Corona-Krise leidenden Schweizer Unternehmen

Video

Herzog Eva (S, BS):

Mir ist es genau gleich gegangen wie Christian Levrat. Als Kollege Engler gesprochen hat, habe ich gedacht: Jetzt sagt er dann, sagt er dann, sagt er dann…, dass er auch gegen die Annahme ist; er kann es nachvollziehen, ist aber dagegen. Das ist dann nicht so herausgekommen.
Ich möchte zum Votum von Kollege Levrat nur noch etwas hinzufügen: Mir geht es auch um das Konzept. Der Bundesrat hat ein zusammenhängendes Konzept gehabt, und dazu haben keine Steuererleichterungen gehört. Andere Länder haben das so gemacht. Hier wurde es so gemacht - was ich absolut richtig finde -, dass Beiträge ganz konkret und direkt gesprochen wurden. Es gab nicht indirekte finanzielle Erleichterungen für Unternehmen, sondern es wurden direkte Hilfen in Form der Darlehen und Bürgschaften gesprochen. Wenn man jetzt noch mit Steuererleichterungen kommt, ist es ein Konzeptwechsel. Das kann man machen, aber ich finde es einen gefährlichen Konzeptwechsel. Es würde nämlich nicht bedeuten, dass durch die Mehrausgaben die Schulden steigen, sondern dass wir bei der Mehrwertsteuer Mindereinnahmen haben. Das ist dann wirklich gleich eine Restriktion im Budget für uns alle. Wir haben weniger Einnahmen, und da die Regeln der Schuldenbremse gelten, würde das dann wirklich heissen, dass wir uns einschränken müssen. Die Verteilungsdebatte würde losgehen, es wären Sparprogramme gefragt. Deshalb bitte ich Sie, diesen Konzeptwechsel in Richtung Steuersenkungen jetzt nicht zu machen. Die Konsumenten würden ja eh nichts davon sehen, wenn Sie den Unternehmen helfen wollen; beide können nicht etwas vom selben Betrag haben.